Verbale Kommunikation spielt in unserem Leben eine enorme Rolle. Sie verbindet Menschen miteinander oder entzweit sie voneinander. Sie ist ein machtvolles Instrument, weshalb im Vedanta viel Wert auf eine intelligente Handhabung dieses Instruments gelegt wird.

Worte sind aber nicht nur im zwischenmenschlichen Bereich wichtig. Sie sind nicht nur Träger emotionaler Inhalte, sondern auch Träger geistiger Inhalte. Eine Beziehung kann ohne Worte funktionieren, aber ohne Worte gäbe es keine Wissenschaft, nicht einmal die auf Formeln beruhende Mathematik oder Chemie. Und da Vedanta eine Art spiritueller Wissenschaft ist, deren Zweck darin besteht, den Menschen erkennen zu lassen, was er in Wahrheit ist, sind Worte im Vedanta von immenser Bedeutung.

Der Vedanta-Weg umfasst zwei Stadien: zur Vorbereitung und Reifung des Suchers gibt es Karma Yoga und Upasana Yoga. Danach kommt Jnana Yoga1, der tatsächliche Erkenntnisweg, die oben erwähnte spirituelle Wissenschaft. Jnana Yoga ist ohne die Vorbereitung wenig aussichtsreich, ebenso wie ein Mathematikstudium wenig aussichtsreich ist, wenn man das Einmaleins nicht kann.

Die Vedanta-Vorbereitung muss nicht unbedingt auf vedische oder hinduistische Weise erfolgen. Viele Entwicklungswege und Religionen bereiten den Menschen vor. Worauf es ankommt, ist, dass ein Sucher ein solides charakterliches Fundament entwickelt hat, dass er oder sie sich reif und verantwortungsvoll verhält und nicht von seinen Emotionen und Impulsen durchs Leben geschleift wird.

Jeder, der an diesem Punkt seiner Entwicklung angekommen ist, wird irgendwann in sich die Frage entdecken, ob es nicht noch mehr gibt, als nur ein relativ gutes Leben zu führen und an bestimmten Werten ausgerichtet zu sein? Und diese Frage kann ihn oder sie dann hinführen zu der Frage, die den meisten Menschen erst einmal nicht so auf der Seele brennt: Wer bin ich eigentlich – unabhängig von Körper und Persönlichkeit? Und all das, was mir im Leben begegnet, was ist all das in seiner Essenz?

Auf dem Vedanta-Weg spielt Sprache in beiden Stadien eine Rolle. Hinsichtlich der vorbereitenden Phase geht es darum, den sprachlichen Ausdruck im menschlichen Miteinander zu kultivieren. Kurz gefasst bedeutet das: Die Art zu sprechen sollte angenehm sein, man sollte in der Lage sein, niemanden unnötig aufzubringen, dennoch bei der Wahrheit zu bleiben, sich auf sein Gegenüber einzustellen (es also weder mit den eigenen Anliegen zu überrollen noch anzuschweigen) und weder zu laut noch zu leise, ruhig und höflich zu sprechen.

Ein freundlicher Umgangston ist im menschlichen Miteinander genauso wichtig wie die Fähigkeit, die eigenen Anliegen klar und verständlich zum Ausdruck zu bringen. Letzteres führt bereits hin zu dem, was dem Sucher dient, wenn er/sie sich daran macht, das Vedanta zu studieren, um zu erkennen, was er/sie in Wahrheit ist – also den Jnana Yoga-Weg einzuschlagen.

Eindeutigkeit

Denn auf dem Erkenntnisweg wird eine gewisse emotionale Reife vorausgesetzt, die automatisch ihren Ausdruck findet in der Fähigkeit, wie oben beschrieben zu sprechen und zu kommunizieren. Im Jnana Yoga geht es dann darum, die Buddhi noch weiter zu verfeinern und zu schärfen. Was dabei zuallererst gelernt wird, ist das Fragenstellen, pariprashna. Dazu muss man sich klar sein über: Was will ich wirklich wissen? Was genau verstehe ich und was genau verstehe ich nicht? Wo erkenne ich einen Widerspruch zu meinen bisherigen Annahmen? Solche und ähnliche Fragen zu stellen, müssen viele erst lernen. Und selbst die, die es schon können, werden diese Fähigkeit noch weiter ausbauen. Nur dann wird sich auch das eigene Verständnis ständig weiter vertiefen.

Vedanta lädt die Sucher immer wieder ein, ihre Fragen und Zweifel wahrzunehmen und ihnen Ausdruck zu geben. Der schon in der vorbereitenden Phase gelernte reife Umgang mit Worten sorgt dafür, dass dem Fragenden stets klar ist: Es geht um die Wahrheitsfindung und nicht darum, einen Kampf zu gewinnen.

Und das Schöne ist, dass es im Vedanta auf jede Frage eine logisch einleuchtende Antwort gibt. Dazu muss der Sucher einerseits oft noch im logischen Denken geschult werden. Andererseits ist es auch wichtig zu wissen, dass es sich im Vedanta immer um unterstützende Logik handelt, nicht um beweisende Logik. Logik und die Schriften wirken zusammen, eins ohne das andere würde nicht zum gewünschten Ergebnis führen: der befreienden Selbsterkenntnis, Moksha.

Wer auf ganz traditionelle Weise Vedanta studiert, der wird neben den einführenden Schriften und Logik, gleich auch ein eingehendes Grammatik-Studium absolvieren. Das unterstreicht die Wichtigkeit, die dem sprachlichen Verständnis zugemessen wird. Da die meisten Westler kein Sanskrit können, geschweige denn ein vertieftes Studium der Grammatik dieser Sprache, wird man dies im Westen von niemandem verlangen. Dennoch ist Sprache in den Vedanta-Klassen immer wieder Thema, nicht nur in Indien, sondern auch im Westen. Schließlich geht es nicht nur um eindeutige Sanskrit-Begriffe – sie sind tatsächlich noch eins der einfacheren Dinge. Viel entscheidender ist es, punktgenau die treffenden deutschen Begriffe zu wählen, wenn man seine Anliegen in Worte fasst.

Was neben dem Formulieren der eigenen Fragen von Anfang an geübt wird, ist, genau das auszudrücken, was man sagen will, und genau das zu sagen, was dem eigenen Verständnis entspricht – statt einfach drauflos zu reden, in der Hoffnung, die anderen wüssten schon, was gemeint ist.

Und egal, wo man steht, wenn man mit dem Vedanta beginnt: Das eigene Sprechen und Denken wird enorm an Klarheit gewinnen, je länger man dran bleibt. Ich habe schon wahre Wunder erlebt und freue mich darauf, noch viele solcher Wunder zu erleben!

Die im Vedanta übliche sprachliche Präzision ist für alle eine große Hilfe, denn wenn man etwas nur vage ausdrücken kann, bleibt auch das eigene Verständnis vage. Obendrein wird niemand, der die Wahrheit nur ungefähr in Worte fassen kann, in der Lage sein, anderen bei der Wahrheitsfindung wirklich gut zu helfen.

Die meisten Sucher kommen zu mir, weil ihnen in den vielen spirituellen Richtungen, die sie vorher ausprobiert haben, genau diese Präzision gefehlt hat. Daher ist ihr Verständnis unvollständig geblieben. Wer dann zu den Gesegneten gehört, deren Verständnis sich durch das Vedanta vervollständigt, von dem wird auch erwartet, dass er/sie bereit ist zu lernen, die Inhalte des Vedanta klar und deutlich zu kommunizieren. Denn außer in den seltenen Fällen, wo jemand zur winzigen Gruppe der Einsiedler oder göttlichen Narren gehört, ist er/sie berufen zum Guru – selbst wenn vielleicht nur ein oder zwei Schüler zu einem finden, denen man helfen kann, die höchste Erkenntnis zu erlangen.  

Sprachverwirrungen

Auf die Gefahr hin, dass einige Leser den Eindruck bekommen könnten, es handle sich beim Vedanta um eine hochabstrakte abgehobene Sache – was nicht der Fall ist – zum Abschluss einige Beispiele für Sprachverwirrungen.

Zuerst einige Anfängerverwirrungen:

AussageUnklarheit
Ich dehne mich ins Unendliche aus Was ist mit „Ich“ gemeint? Was dehnt sich aus? Wie macht es das? Was bedeutet Unendliches?
Wenn ich im Hier und Jetzt bin, bin ich im Einklang mit mir Hier ist von mehreren Ichs die Rede. Sie alle müssen genauer definiert werden, um die Aussage zu präzisieren. Und was genau mit Einklang gemeint ist, Einssein oder Gleichklang.
Der Teil in mir, der ich wirklich bin Was ist das für ein Teil? Ist es tatsächlich ein Teil?  Bist du in Wahrheit also nur ein Teil? Und was ist mit dem Rest?
Ich hab jetzt ein klares Gefühl zu dem, was ich bin Wer ist das erste Ich und wer ist das zweite Ich in diesem Satz? Was bedeutet klar? Ist das, was du bist, Objekt deiner Wahrnehmung?

Nur als Experiment, versuche mal die Aussage zu präzisieren, indem du die Fragen beantwortest, und du wirst schnell merken, dass man die Aussage komplett umformulieren müsste, damit sie klar wird – oder dass die ganze Aussage leider überhaupt keinen Sinn macht, egal, wie sehr man an ihr herumfeilt.

Ein Tipp: Vor allem die verschiedenen Ichs, die oft in Aussagen vorkommen, müssen umformuliert werden. Oft hilft es schon, wenn man ein Ich durch „ Mind“ oder „Körper“ ersetzt, denn das sind die am häufigsten vorkommenden Verwechslungen mit dem Ich.

Und jetzt einige Fortgeschrittenen-Verwirrungen:

AussageUnklarheit
Ich bin reines Nichts Wer weiß darum, dass du reines Nichts bist? Und was macht das Nichts existent? Was verstehst du unter reinem Nichts?
Die Buddhi weiß, dass ich Brahman bin, aber bei mir ist das noch nicht angekommen. Bei wem ist das noch nicht angekommen? Und bist du Objekt von Buddhis Wahrnehmung oder ist die Buddhi Objekt deiner Wahrnehmung?
Hier bin ich, atma, Zeuge von allem, und da ist Brahman, Alles. Wieso erkenne ich nicht, dass beides dasselbe ist? Du bist also Zeuge von Brahman?
Ich bin das Sein, das allen zugrunde liegt, aber Manas funkt ständig dazwischen.Was liegt Manas zugrunde?

Fortgeschrittene werden erkennen, dass das Missverständnis, das der Aussage zugrunde liegt, durch die Beantwortung der Fragen offenbar wird.

Fußnote:

  1. Das Wort spricht man Njana aus. Es wird also andersherum geschrieben als es ausgesprochen wird. Das geschriebene Jn wird zu einem gesprochenen Nj.