Frei sein – wer will das nicht?! Wenn du spontan antwortest: „Ich will es auf jeden Fall!“, dann gehörst du schon nicht mehr zum Mainstream. Denn sich Freiheit zu wünschen, ist bereits Zeichen von Autonomie. Es ist auch ein Zeichen von Mut. Warum? Weil Freiheit einen Preis hat. Dieser Preis heißt Sicherheit. Je mehr Freiheit, desto weniger Berechenbarkeit, desto weniger Sicherheit, desto mehr Alleinsein.

Die allermeisten Menschen wollen sicher und geborgen sein und sich zugehörig fühlen. Freiheit ist da erst mal kein ausschlaggebender Faktor. Für Geborgenheit und Schutz muss man ein gewisses Maß an Unfreiheit in Kauf nehmen und wenn man gesunden Menschenverstand hat, ist man auch bereit, es zu tun.

Nun zu den wenigen, die Freiheit über Geborgenheit stellen. Wenn wir ihren Freiheitswunsch genauer unter die Lupe nehmen, dann stellt sich schnell heraus, dass auch sie meist nur in bestimmten Bereichen oder in bestimmter Hinsicht frei sein wollen – nicht ganz und gar, immer und überall. Denn absolute Freiheit ist dann doch eine irgendwie beängstigende Vorstellung.

Zweierlei Arten von Freiheit

Wie immer im Advaita Vedanta, brauchen wir zunächst einmal eine Definition. Wenn wir von Freiheit reden, was meinen wir damit?

Zum einen gibt es die spezifische Freiheit: Freiheit von diesem, Freiheit für jenes. Diese erste Form von Freiheit wünscht sich von Zeit zu Zeit jeder.

Denn jeder hat Dinge und Situationen in seinem Leben, von denen er/sie lieber frei wäre: unerfreuliche Lebensumstände und unangenehme Mitmenschen, körperliche Einschränkungen und Schmerzen, emotionale Sorgen und Ängste, Wut und Ärger, Trauer und Leid usw. (dvesha). Gleichzeitig hat jeder auch Dinge im Kopf, für die er/sie gerne freier wäre: Man hätte gerne mehr Zeit, mehr Geld, mehr Gesundheit, mehr Kraft, mehr Mut, um sich bezüglich Beruf, Partnerschaft, Wohnsituation usw. freier zu fühlen (raga).

Diese spezifische Freiheit ist relativ, denn sie bezieht sich immer auf etwas. Spezifische Freiheit ist außerdem immer nur zeitweilig da. Vielleicht hat man sie schon mal gehabt, sie aber wieder verloren, und muss sie wieder herstellen. Oder man stellt sie erstmalig her.

Ob man die gewünschte Freiheit erlangt, ist stets zweifelhaft, denn es hängt ab von Faktoren, auf die man nur teilweise Einfluss hat. Und wenn man die Freiheit dann erlangt hat, kann sie einem jederzeit wieder abhanden kommen. Warum? Weil alles, was einen Anfang hat, auch ein Ende hat (Bitte diese Aussage überprüfen, am besten im Gespräch mit jemand anderem. Ist es tatsächlich so? Gibt es Gegenbeispiele?).

Die zweite Art von Freiheit will nicht jeder. Es ist die, um die es dem Advaita Vedanta geht: Moksha, die höchste Freiheit. Moksha ist absolute Freiheit. Sie ist immer schon da gewesen und wird auch immer da sein.

Kurzer Exkurs:

Wenn man zu den Wahrheitssuchern gehört, die sich für Moksha einsetzen, fragt man sich nun:

  1. „Ich merke doch, dass diese Freiheit nicht da ist. Deshalb suche ich sie ja.“
  2. „Wenn sie schon da wäre, dann müsste ich mich doch gar nicht darum bemühen. Wozu dann der ganze Aufstand mit der spirituellen Suche?!“

Der erste Punkt: Was fehlt?

Die absolute Freiheit fehlt, und die absolute Freiheit ist schon immer dagewesen. Das widerspricht sich doch!

Nein, nicht notwendigerweise.

Die spezifischen Freiheiten fehlen einem manchmal und gehen einem wieder verloren. Die absolute Freiheit nicht. Wenn man dennoch das Gefühl hat, sie sei nicht da, dann liegt das an der eigenen Wahrnehmung und nicht daran, dass sie nicht da ist.

Der zweite Punkt: Wozu die ganze Suche, wenn die absolute Freiheit schon da ist?

Dies ist der entscheidende Punkt, der den Erkenntnisweg des Advaita Vedanta begründet: Die Suche ist nicht wirklich eine Suche nach Freiheit, sondern die Suche nach der Erkenntnis der Freiheit. Auch wenn man es immer so sagt: Du erlangst nicht wirklich Moksha, weil du schon immer frei bist. Aber solange du das nicht erkannt hast, bist du so gut wie gefangen. Gefangen in deiner eigenen Unwissenheit um diese Freiheit.

Exkurs Ende.

Zurück zur Eingangsfrage „Frei sein – wer will das nicht?“ Antwort: Bezogen auf die spezifischen Freiheiten wollen es tatsächlich alle, wenigstens ab und zu. Ich formuliere die Frage also um:

Absolut frei sein ­– wer will das schon?!

Tatsächlich zeigt sich an der Beantwortung dieser Frage, ob man für das Advaita Vedanta bereit ist oder nicht. Denn im Advaita Vedanta ist dies das eine und einzige Ziel: Moksha – dich aus deiner vermeintlichen Gefangenschaft zu befreien, indem du erkennst, dass du bereits frei bist. Und zwar absolut frei.

Das, was immer schon vorhanden ist, kann man nicht wieder verlieren, wenn man es einmal als vorhanden erkannt hat. Das heißt, wenn du einmal Anspruch auf diese absolute Freiheit erhebst, dann wirst du sie nicht wieder los.

Du magst sagen: „Na und?! Ich will sie doch gar nicht wieder loswerden.“

Fangen wir noch mal oben an, wo es hieß:

Freiheit hat einen Preis. Dieser Preis heißt Sicherheit. Je mehr Freiheit, desto weniger Berechenbarkeit, desto weniger Sicherheit, desto mehr Alleinsein.

Die Vorstellung von Dualität, also von einem „da sind noch andere“, kann bedrohlich sein, aber sie kann eben auch tröstlich sein. Das heißt, wer sich lieber an anderen orientiert und lieber anlehnt, als frei zu sein (auch von der Bindung an sie!), der sollte bei den spezifischen, aber vergänglichen, Freiheiten bleiben.

Absolute Freiheit verlangt dir absoluten Mut ab: Um es mit den Worten des letzten Essays zu sagen: den Mut zu sterben, bevor du stirbst. Das heißt, absolute Freiheit bedeutet, alles, wirklich alles, loszulassen, was bisher Grundlage deiner Existenz zu sein schien. Und wie geht das? Indem du riskierst, den grundlegenden Referenzpunkt deines Lebens, dein Ich, loszulassen. Hier empfiehlt sich unbedingt, folgendes Essay nochmals zu lesen: Das Ich aufs Spiel setzen.

Das persönliche Ich ist immer nur ein Ich, bezogen auf all das andere, was „Nicht-Ich“ ist, d.h. die Ich-Idee geht einher mit der Idee von Dualität. Mit dem Loslassen dieser Ich-Idee lässt du die Vorstellung der Dualität hinter dir.

Wer dazu bereit ist, wird die bedingungslose, absolute Freiheit erlangen ­– wobei „erlangen“ nicht ganz der richtige Ausdruck ist. Eigentlich handelt es sich um ein „Sich zugestehen“ oder „Anspruch erheben auf“. Denn, wie gesagt, jeder ist bereits hier und jetzt frei ­– nur ist nicht jeder schon bereit für diese Freiheit.

Absolute Sicherheit

Wenn du wirklich bereit bist, dann gibt es nichts, was dich hindern könnte, Anspruch auf das zu erheben, was du schon immer bist. Das Hindernis liegt in deiner eigenen Vorstellungswelt, die dir vorgaukelt, es sei sicherer, dir Freiheit von etwas oder Freiheit für etwas zu wünschen als die bedingungslose Freiheit für dich zu beanspruchen. Um diese falsche Vorstellung außer Kraft zu setzen, gibt es den Vedanta-Erkenntnisweg. Es braucht Zeit, bis die Buddhi in der Lage ist zu erkennen, dass es genau umgekehrt ist: Nur die absolute Freiheit ist absolute Sicherheit.

Denn mit dieser Freiheit landest du in der Nicht-Dualität; da ist niemand anders mehr als du allein: reines Sein – reines Bewusstsein – Grenzenlosigkeit. Nichts anderes bedroht dich, und nichts anderes beschützt dich – einfach, weil du keinen Schutz brauchst.

Mit dieser Freiheit kommt der freie Fall.

Für viele ist das eine bedrohliche Vorstellung.

Doch was ist bedrohlich am freien Fall? Das Aufprallen am Boden.

Da die absolute Freiheit jedoch niemals endet, ewig und unter allen Umständen bleibt, kommt auch der Aufprall nie. Wer diese Freiheit erlangt hat, weiß das automatisch. Doch für diejenigen, die noch vor ihr zurückscheuen, ist es wichtig zu wissen:

Moksha ist nie endender freier Fall,

und ist daher das Sicherste, was es gibt.