Spirituelle Sucher, die Yoga praktizieren, haben meist schon von den Gunas gehört. Sie spielen in der vedischen Phänomenologie eine Rolle, und sowohl Yoga wie auch Vedanta gründen sich auf die Veden. Allerdings interpretieren sie die Veden verschieden und so kommt es, dass für Yoga die Realität zweigeteilt (dual) ist, für Advaita Vedanta dagegen nicht-zwei, also nicht-dual.

Mit Phänomenologie meine ich hier alles, was die Phänomene, denen wir auf der Welt begegnen, erklärt: Lebewesen, leblose Objekte, Energie, Handlungen, Gedanken und Gefühle usw. Phänomenologische Erklärungen bleiben jedoch auf der Ebene der Phänomene und gehen nicht über sie hinaus. Die chemische Erklärung des Phänomens „Wasser“ ist in diesem Sinne phänomenologisch: Wasser ist H2O – eine Bestimmung seiner chemischen Bestandteile. Die Aussage, dass Wasser eigentlich nichts als reines Bewusstsein ist, ist dagegen eine Erklärung, die über das Phänomen hinausgeht.

Die Gunas gehören zur Welt der Phänomene, sie erklären die Phänomene auf der Ebene der Erscheinungswelt und nicht auf der Ebene der letztgültigen Wirklichkeit. Im Folgenden werde ich die Gunas erst beschreiben und dann darauf eingehen, welchen Stellenwert sie für den Wahrheitssucher haben.

Was sind Gunas? 

Die Gunas sind die drei Grundprinzipien des Lebens: Sowohl die grobstoffliche, wie auch die feinstoffliche, wie auch die kausale Materie besteht aus diesen drei Grundprinzipien in jeweils unterschiedlicher Kombination. Jedes Phänomen, das im Universum auftaucht, setzt sich aus ihnen zusammen. In reiner Form tauchen sie nie auf, und sie verändern ihre jeweilige Gewichtung ständig. Nur im unmanifesten (kausalen) Zustand sind sie stets im vollkommenen Gleichgewicht.

Tamas ist das Prinzip der Trägheit. Alles, was relativ bewegungslos ist, schwer und verdichtet, ist dominiert von Tamas.

Rajas ist das Prinzip der Aktivität. Alles, was in Bewegung ist, dynamisch und energiegeladen, ist dominiert von Rajas.

Sattva ist das Prinzip der Durchlässigkeit und Ausgewogenheit, von Licht und Stille.

Das Zusammenspiel der Gunas

Tamas und Rajas sind Gegenspieler:

Tamas – ein schwül-heißer Sommertag, graue Wolken hängen tief am Himmel, kein Vogel singt, kein Lüftchen geht, die Segelboote kleben auf dem Wasser und den Menschen fällt das Atmen schwer. Wer kann, legt sich irgendwo hin und wartet.

Wartet worauf? Auf Rajas. Und Rajas kommt: Plötzlich frischt der Wind auf, zaust durch die Bäume, fährt unter jedes Hindernis, und was er zu fassen kriegt, schleudert er wild umher. Schaumkronen, gebauschte Segel rasen über den See, weiße Wolken fegen am pechschwarzen Himmel entlang. Und dann zuckt Blitz auf Blitz, kracht Donner auf Donner, prasselt der Regen, peitscht der Sturm die Fluten vor sich her.

Und wenn der Ausbruch von Rajas vorbei ist? Dann scheint für einen Moment Sattva auf: ein Sonnenstrahl, ein Regenbogen, Vogelstimmen, blauer Himmel, Stille – heiter, lebendig, freundlich.

Das ist dann der Moment, in dem Märchen enden: Alles ist gut.

Das Szenario lässt sich leicht auf den Mind übertragen. Tatsächlich ist den meisten das Wechselspiel von Tamas und Rajas mit seinen viel zu kurzen Sattva-Intermezzos nur allzu bekannt. Und es geht auch umgekehrt: sich bis zum Umfallen verausgaben (Rajas) und dann völlig gerädert aufwachen (Tamas). Gegenmittel ist, na klar: Rajas – ein starker Kaffee oder, für die Gesundheitsbewussteren, ein schneller Sprint durch den Wald. Die Folge ist wieder eine Weile (oder auch nur ein Moment) unbeschwerter Entspannung (Sattva), meist bloßer Ausgangspunkt einer neuen Partie von „Rajas-Tamas“.

Die zwei Seiten der Gunas

Guna ist ein Sanskrit Wort und bedeutet „Schnur, Band, Seil“ – einerseits sind die Gunas das, woraus das Universum gewebt ist. In diesem Sinne erfüllt jedes Guna eine wichtige Funktion. Andererseits kann jedes Guna zur Fessel werden, und zwar dann, wenn man sich damit identifiziert.

Tamas verleiht uns eine bodenständige und pragmatische Haltung. Es ermöglicht uns, zur Ruhe zu kommen und zu regenerieren. In einer tamasischen Fixierung aber hängen wir schlaff auf dem Sofa, zappen lustlos durch die Fernsehprogramme, fühlen uns träge, stumpf, vielleicht gar apathisch, krank oder depressiv. Dass eine solche Verfassung wie eine Fessel wirkt, ist offensichtlich. Tamoguna zeigt sich als Identifikation mit der Materie.

Für alle, die nicht tatsächlich krank sind, besteht das einzig wirksame Mittel gegen die tamasische Fessel in einer guten Portion Rajas: in Bewegung kommen, frischen Wind um die Nase, die Lebensgeister wecken. Doch auch Rajas wird schnell zum Selbstläufer: Was sich anfangs durch Einsatzfreude, Tatkraft und Arbeitseifer ausdrückt, wandelt sich schnell in Ruhelosigkeit, Hetze, und Hektik. Eine Aktivität jagt die andere, ein Nervenkitzel muss durch einen stärkeren getoppt werden. Das Resultat ist Ungeduld, Reizbarkeit und Aggressivität. Rajoguna zeigt sich als Identifikation mit Energie.

Die Rajas-Fessel ist also nicht besser als die Tamas-Fessel und das oft resultierende Wechselspiel Rajas-Tamas stellt für sich genommen eine weitere Fessel dar. Die Befreiung kommt durch Sattva, denn Sattva ist ein weitgehend identifikationsfreier Zustand. Nur durch Sattva gelingt es, aus den Identifikationen mit Tamas und Rajas auszusteigen.

Sattva bringt Frieden, Einverständnis und Harmonie hervor. Der Mind ist relativ klar, entspannt und offen für Neues.

Für diejenigen, die sich aufs Tamas-Rajas-Rad gespannt sehen, ist Sattva die Rettung. Doch wer den Wert von Sattva nicht erkennt und es somit nicht unterstützt, fällt immer wieder ins alte Muster zurück. Sattva sollte innerhalb der Persönlichkeit das vorherrschende Guna sein. Aber auch Sattva ist ein Band, das zur Fessel werden kann. Mehr dazu gleich.

Welchen Stellenwert besitzen die Gunas für den Sucher der Wahrheit?

Das Wissen um die Gunas schafft Klarheit über den eigenen Status Quo. Es hilft außerdem dabei, Aktivitäten und Situationen zu bestimmen, um die eigene Persönlichkeit so weiterzuentwickeln, dass sie der Wahrheitssuche bestmöglich dient.

Ein tamasischer Mensch wird in seiner spirituellen Suche zurückbleiben, weil ihm immer wieder die nötige Motivation abhanden kommt. Wer also häufig in tamasischer Lethargie vor sich hindämmert, muss zunächst einmal in Bewegung kommen. Erst dann ist ausreichend Energie vorhanden, um Sattva zu fördern.  Die natürliche Reihenfolge ist Tamas – Rajas – Sattva.

Wer einen Überschuss an Rajas hat, der muss wach sein, um nicht immer wieder in die Tamas-Falle zu gehen, weil er nur dann aufhört, tätig zu sein, wenn er sich ganz und gar verausgabt hat. Solange er noch nicht völlig abgekämpft oder entnervt ist, das heißt solange noch Kraft vorhanden ist, muss diese in das investiert werden, was der eigenen spirituellen Sehnsucht entspricht – eine Frage der Prioritäten (siehe das entsprechende Essay, 6–2014). Ansonsten bleibt für die Suche nach der Wahrheit nie genug Zeit und Raum übrig.

Was ist nun mit denen, die einen Überschuss an Sattva haben? Einen Überschuss an Sattva gibt es nicht. Sattva ist das, was sich offenbart, wenn die anderen beiden Gunas zurücktreten. Doch die Identifikation mit Sattva ist dem Wahrheitssucher ebenso im Weg wie jede andere Identifikation auch. Die Fesseln des Sattva-Gunas werden obendrein meistens verkannt, denn wer sehr sattvisch ist, ist ja glücklich und zufrieden. Diejenigen, die zu wenig Sattva-Guna haben, können sich die negativen Seiten ohnehin nicht vorstellen. Doch auch die „Sattviker“ sind selten in der Lage, die Problematik ihrer Identifikation zu erkennen.

Sie verstehen weder, wieso andere Leute es sich eigentlich so schwer machen, noch wieso sie selbst noch nicht erleuchtet sind, da es ihnen doch permanent so gut geht. Sattvaguna zeigt sich als Identifikation mit dem Geist und mit Glückszuständen.

Einige, obwohl immer noch anfällig für die ersten beiden Gunas, haben Techniken meditativer Art gefunden, um auf den „Sattva-Zug“ aufzuspringen, der sie rasch und zuverlässig in einen Zustand von Zufriedenheit und Glück befördert. Da es sich um einen Zustand handelt, hält dieser natürlich nicht an, wodurch es immer wieder Abstürze ins gewöhnliche menschliche Jammertal gibt.

Auch diejenigen, die tatsächlich von stark sattvischer Natur sind, können Sattva wie eine Droge benutzen – oft ohne dass sie selbst es merken. Am deutlichsten drückt sich dies aus hinsichtlich des yogischen Ideals, des so genannten Nirvikalpa Samadhi. Die Tradition des Yoga lehrt, wie man den Mind derart zur Ruhe bringt, dass er sich (wie im Tiefschlaf) über die Dualität von Subjekt und Objekt erhebt. Wir alle wissen, wie außerordentlich wohltuend tiefer Schlaf ist – und die Seligkeit, die wir im Tiefschlaf erleben, beruht tatsächlich darauf, dass die Trennung von Subjekt und Objekt aufgehoben ist.

Aber Tiefschlaf ist, ebenso wie Nirvikalpa Samadhi, ein endlicher Zustand. Im Yoga gilt Nirvikalpa Samadhi als das Ziel, es wird gleichgesetzt mit Erleuchtung oder Moksha. Dagegen ist die Erleuchtung im Vedanta das, was jenseits aller Zustände ist und daher ohne Ende. Bloßes Eintauchen in die Glückseligkeit, egal ob in formvollendetem Nirvikalpa Samadhi oder in weniger umwerfenden, dennoch beseligten Erfahrungen, ist nichts als ein Ausdruck von Sattvaguna. Ein entscheidender Schritt steht noch aus, bevor der Sucher die Wahrheit, die er eigentlich sucht, auch tatsächlich finden kann: Auch diese letzte Identifikation muss losgelassen werden. Denn solange man sich mit etwas identifiziert, was man nicht ist, bleibt das, was man tatsächlich ist, verborgen.

In der Praxis

Alles auf dieser Welt ist Guna-geprägt, das heißt, man kann sich darin üben, die Guna-Zusammensetzung von bestimmten Dingen, Situationen, Menschen, Aktivitäten zu erkennen. Wenn man außerdem in der Lage ist, die eigene Guna-Lage richtig einzuschätzen, kann man jeweils die Guna-Aktivitäten, -Menschen, -Situationen oder –Dinge ins Spiel bringen, die einem aus der Fixierung heraushelfen und das Guna, das man braucht, unterstützen.

Tamas muss nicht gefördert werden. Zwar fällt es manchen Menschen aufgrund ihrer Identifizierung mit Rajas schwer, sich genug Ruhepausen zu gönnen. Dennoch ist es besser, die rajasische Energie in eine sattvische Richtung zu lenken. Danach ist es ohnehin kein Problem mehr, dem Körper genug Entspannung und Schlaf zu verschaffen, denn Sattva ist reine Intelligenz und weiß, was nötig ist.

Tamas wird abgeschwächt, indem Rajas verstärkt wird. Außerdem sollten tamasische Nahrungsmittel weggelassen werden: schwer verdauliche fettige Speisen, durch Gifte und Verarbeitung denaturierte Lebensmittel, Eier, Pilze, Fast Food, Süßigkeiten (langfristig), dämpfende Drogen. Auch andere tamasisch fixierte Menschen verstärken das eigene tamasische Muster, ebenso wie unästhetische, nachlässige, geschmack- oder geistlose Situationen und Aktivitäten.

Rajas wird in erster Linie durch körperliche Bewegung angeregt. Hilfreich ist die Farbe rot. Durch eine rajasische Ernährung wird dieses Guna ebenfalls bestärkt. Dazu gehört alles, was anregt und aufputscht: scharfe Gewürze, Zwiebeln/Knoblauch (besonders roh), Fleisch, Kaffee/Tee, Süßigkeiten (kurzfristig), usw. Wer sich zu tamasisch fühlt, kann ein Prise dieser Nahrungsmittel zu sich nehmen. Wer jedoch zu viel davon konsumiert, setzt das „Tamas-Rajas“-Spiel in Gang.

Wer Rajas mindern will, verstärkt Sattva (siehe unten). Aber er sollte auch die oben genannten Nahrungsmittel reduzieren und wenn möglich, aufputschende Situationen meiden: Wettkämpfe, aufwühlende, spannungsgeladene, dramatische Filme, Bücher und/oder Lebenssituationen. Auch das Zusammensein mit rajasisch fixierten Menschen verstärkt das eigene rajasische Muster.

Sattva wird angeregt durch alles, was uns Frieden schenkt: liebevolles Miteinander, Schönheit, der Aufenthalt in unberührter Natur, erhebende Musik und vor allem geistige Inspiration, insbesondere spiritueller Art. Eine vorwiegend sattvische Konstitution verleiht Ruhe, Klarheit und Unterscheidungsfähigkeit, macht uns freundlich, heiter und ausgeglichen.

Sattvische Ernährung besteht aus Obst und Gemüse, Getreide, Milchprodukten, Nüssen, Hülsenfrüchten, Käutern und klarem Wasser. Lebensmittel sollten frisch sein und möglichst frisch zubereitet werden.

Wer sich außerdem mit anderen sattvischen Menschen umgibt, wird sehr schnell die Lust an übermäßig rajasischen und tamasischen Tätigkeiten verlieren.

Hier ein paar Links zu You Tube-Musikvideos, die Sattva-Guna stärken (wenn man sie mag):

http://www.youtube.com/watch?v=DPCvnloDLO8&feature=related

http://www.youtube.com/watch?v=sP7I9Z3c-jI&playnext=1&list=PLA7BB4D62DE1EA90B&feature=results_video

http://www.youtube.com/watch?v=CtmybXhl3js&list=PLJzHNMVj9AIaTRMdTPIxjKclg31eDg34E&index=11

http://www.youtube.com/watch?v=Id_UYLPSn6U

http://www.youtube.com/watch?v=xoirXUhEpIo

http://www.youtube.com/watch?v=FTJyjxLwtcU

http://www.youtube.com/watch?v=MM8_ogMAt50&list=PLGSMcizEZuIqq5fn2PsnWw1ijkdi5rNyu

http://www.youtube.com/watch?v=aNb0u0UVunk

http://www.youtube.com/watch?v=k1-aarDLy3s

http://www.youtube.com/watch?v=hAlcD8ffv3k

http://www.youtube.com/watch?v=2G8LAiHSCAs