Wer Prioritäten setzen kann, hat gute Chancen im Leben das zu erreichen was er erreichen will. Wer es nicht kann, verliert das, was er will, immer wieder aus den Augen und dreht sich oft im Kreis. Je klarer die innere Ausrichtung ist und je weniger Ziele es gibt, desto höher die Wahrscheinlichkeit, seine Ziele zu erreichen. Wer dagegen die Erfahrung macht, dass er sein „einziges und höchstes Ziel“ nicht erreicht, der ist gut beraten, noch einmal zu überprüfen, welche anderen Prioritäten ihm im Weg stehen. Denn wer wirklich und wahrhaftig nur eins im Leben will, der wird es bekommen – egal, in welchem Lebensbereich.

Die Leser dieser Seiten haben unterschiedliche Ziele und unterschiedliche Prioritäten. Doch ein Ziel ist ihnen gemeinsam: Sie möchten frei sein von der Identifikation mit dem, was sie nicht sind, das heißt sie möchten Moksha. Für dieses Erkenntnisziel gilt dasselbe wie für alle anderen Ziele auch: Nur diejenigen, für die es eine hohe Priorität hat, werden es erreichen.

Interessanterweise ist es in der westlichen spirituellen Szene zwar in Ordnung, sich Ziele zu setzen – allerdings nur, solange diese weltlicher Natur sind. Alles darf Ziel sein, eine Reise, mehr beruflicher Erfolg, eine gute Beziehung, Gesundheit. Nur eins darf nicht Ziel sein: Moksha – denn die Erleuchtung „muss von selbst kommen“, wer sie anstrebt, der hat ohnehin keine Chance – so meint man.

Manchmal ist dies nur eine Ausflucht, um sich nicht unnötig mit etwas zu belasten, das man ohnehin nicht wirklich versteht. Tatsache ist jedenfalls, dass das Ziel Moksha geradezu zum Tabu geworden ist. Manche begründen dies auch damit, dass man ja bereits erleuchtet ist.

Diese Begründung greift jedoch nur bei denen, die dies auch wirklich wissen. Wer nicht wirklich weiß, dass er frei von allem und eins mit allem ist, dem fehlt die höchste Erkenntnis noch. Und wem sie fehlt, obwohl er sie will, der muss sich darum kümmern, dass er sie erlangt. Denn da sie sich bisher nicht von selbst eingestellt hat, warum sollte sie dies auf einmal doch tun?

 

Aber gerade in der spirituellen Szene, zu der auch die Leser dieser Essays gehören, hält sich hartnäckig der Glaube an das Wunder der Erleuchtung, die einen urplötzlich aus dem Nirgendwo heraus überkommt.

Richtig ist, dass Moksha nicht das Ergebnis von etwas ist. Das Ringen um die Erkenntnis führt Moksha nicht herbei.

Aber es verändert unseren Mind. Ebenso verändert sich unser Mind durch die Prioritäten, die wir haben. Wer beispielsweise Ziele verfolgt, die sich immer wieder als unhaltbar erweisen (Sicherheit, Wohlbefinden, ein gutes Gewissen), dessen Mind wird nicht zur Ruhe kommen.

Durch Erkenntnisarbeit wird der Mind jedoch immer klarer und stiller. Ein geklärter und stiller Mind wird mehr und mehr mit dem in Einklang kommen, was er wirklich ist. Und wenn er obendrein weiß, dass das, womit er da in Einklang kommt, seine wahre Natur ist, dann wird er sich irgendwann, in einem segenreichen Augenblick der Erkenntnis seiner wahren Natur ergeben – mitsamt allen noch verbleibenden Identifizierungen. Von da an gibt es keine Trennung mehr zwischen dem Mind und der eigentlichen wahren Natur: der Mensch ist frei von der Identifikation mit dem, was er nicht ist, Moksha ist da.

 

Was hilft?

Da die Priorität „Moksha“ für jeden Wahrheitssucher der wichtigste  Schüssel ist, um Moksha auch wirklich zu erlangen, empfiehlt es sich, die eigene innere Prioritätenliste ständig im Auge zu haben. Die Frage „Wieso bin ich immer noch nicht erleuchtet?!“ beantwortet sich meist durch einen Blick auf diese Liste, wo Moksha irgendwo unter Ferner Liefen vor sich hin kümmert.

Kein Wahrheitssucher hat Interesse daran, sich selber in die Tasche zu lügen. Er will ja seinen Weg endlich beenden. Aber es ist nun einmal eine Tatsache, dass man um das, was wirklich Priorität für einen hat, nicht unbedingt weiß. Im Folgenden möchte ich einige Anregungen geben, um sich über die eigenen Prioritäten klarer zu werden.

Es gibt mehrere Gründe, warum Moksha keinen höheren Stellenwert bekommt:

Pflicht

Angst

Gier

Gewohnheit

 

Und sollte Moksha (trotz mangelhafter Erleuchtung) ganz oben auf der Liste stehen, liegt eindeutig eine Fehleinschätzung vor: Es gibt mindestens einen blinden Fleck, ein unerkanntes Ziel mit einer höheren Priorität, dem man noch auf die Spur kommen muss.

 

Pflicht

Was wir als Pflicht wahrnehmen, gilt es erst einmal genau zu untersuchen. Es gibt Pflichten, die müssen erfüllt werden. Hier spielt auch die jeweilige Lebensphase eine Rolle, in der man sich befindet, siehe Altern. Doch viele Menschen schieben Pflichten vor oder sind Meister darin, sobald eine Pflicht erfüllt ist, sogleich ein bis zwei neue Pflichten zu kreieren.

Tatsache ist, dass es stets noch etwas gibt, das man zwar als notwendig zu erfüllende Pflicht bezeichnen kann, das aber tatsächlich den nächsten drei Punkten zuzuordnen ist. Um hier mehr Klarheit zu gewinnen, braucht es eine ehrliche Selbsteinschätzung, die man wahrscheinlich nur im Gespräch mit einer unbeteiligten Vertrauensperson erlangt.

Angst

Ängste machen unser Leben enorm kompliziert, denn wenn man Angst hat, ist man ständig mit absichernden Maßnahmen beschäftigt. Das kann einen so auf Trab halten, dass für übergeordnete Ziele kein Raum bleibt. Dazu kommt, dass hinter jeder Angst die Angst steht, unterzugehen. Jede Angst ist letztlich Todesangst. Und da sich der Tod nicht bezwingen lässt, egal wie sehr man sich darum bemüht, wird dieses Bemühen nie ein Ende nehmen.

Angsterfüllte Wahrheitssucher hoffen meist, dass Moksha das Angstproblem aus der Welt schaffen wird. Zwar stimmt es, dass mit Moksha alle Angst versiegt. Aber ebenso sicher ist, dass angstbelastete Menschen sich erst einmal mit ihren Ängsten auseinandersetzen müssen, da ihre eigentliche Priorität „für Sicherheit Sorgen“ heißt und nicht Moksha.

Gier

Gier ist die Grundstimmung der Konsumgesellschaft und daher ist es bei uns das Hauptmotiv, welches Moksha auf die letzten Plätze verdrängt. Wer immer noch mehr besitzen oder erleben will und Altes stets durch Neues ersetzen möchte, der wird nie genug Energie, Raum und Zeit für die Suche nach Moksha haben. Und da es in unserer Welt ein scheinbar unerschöpfliches Überangebot gibt und da die Wirtschaft alles aufbietet, um ihre Güter und Angebote an den Mann zu bringen, muss der Wahrheitssucher sehr wach sein, um aus dem Hamsterrad des Konsums aussteigen zu können. Die allgegenwärtige Konsumhaltung hat sich mittlerweile auch auf den emotionalen, mentalen und spirituellen Bereich ausgedehnt. Grundproblematik: Es ist nie genug – an Besitz, an emotionaler Befriedigung, an Information und an spirituellen Erfahrungen.

Auch hier sitzen Wahrheitssucher oft der Illusion auf, dass sich das Problem „Gier“ mit Moksha von selbst erledigen wird und man es sich daher bis zur Erleuchtung „doch gutgehen lassen“ kann. Zwar stimmt es, dass mit Moksha alle Gier versiegt. Aber ebenso sicher ist es, dass von Gier getriebene Menschen sich erst einmal darum kümmern müssen, ihre Gier hinter sich zu lassen, da ihre eigentliche Priorität „Mehr!“ heißt und nicht Moksha. Zum zweiten gibt es einen Unterschied zwischen „es sich gutgehen lassen“ und Gier. Jeder Wahrheitssucher darf es sich gutgehen lassen. Aber Fakt ist, dass nur die Sucher weiterkommen, die ein einfaches Leben führen und nicht ständig etwas Besserem nachjagen müssen.

Gewohnheit

Gewohnheiten basieren meistens auf Erziehung, Anpassung an den Status Quo, Bequemlichkeit. Ein Ziel „Moksha“, Erleuchtung, existiert in unserer westlichen Denkwelt nicht und es gibt nichts, was uns immer wieder einmal an dieses Ziel erinnern würde, wie beispielweise in Indien oder buddhistischen Ländern. Wir müssen dieses Ziel schon in Eigenverantwortung in unser Leben einladen, ansonsten bleibt es außen vor und schafft es niemals auch nur auf die untersten Ränge unserer Prioritätenliste.

 

Was kann man tun?

Beste Chancen auf Erleuchtung hat der, auf dessen Prioritätenliste Moksha ganz oben steht. Für alle, die feststellen, dass dies nicht so ist, empfiehlt es sich, zweigleisig fahren: Zum einen gilt es, die Ursachen für die mangelnde Priorität von Moksha ausfindig zu machen und diese Ursachen zu beheben oder wenigstens zu reduzieren. Zum zweiten gilt es, den Wunsch nach Moksha aktiv zu nähren, denn wenn er stärker wird, verlieren die anderen Prioritäten an Gewicht. Wie nährt man ihn?

Es ist äußerst motivierend, über Menschen zu lesen, die Moksha gesucht und gefunden haben. Auch sämtliche Advaita-Literatur unterstützt dabei. Minimalprogramm sind beispielsweise diese Essays. Wer Anregungen möchte, kann mich gerne kontaktieren, denn nicht jeder fühlt sich von allem gleichermaßen angesprochen. Die einen beziehen sich lieber auf moderne westliche Quellen, andere auf indische Vedanta-Lehrer und wieder andere auf buddhistische Richtungen (mit letzteren kenne ich mich allerdings kaum aus).

Was nährt den Wunsch noch? Oben hatte ich davon gesprochen, dass es in unserer Kultur keine Erinnerungshilfen an diesen Wunsch gibt. Aber man kann sie sich durch Bilder oder Symbole schaffen – in der Wohnung, im Auto, im Büro. Allerdings muss man diese Bilder/Symbole anfangs regelmäßig erneuern und sie sollten einen mit Freude erfüllen, damit man sie nicht nach kurzer Zeit übersieht.

Am wichtigsten ist die Gesellschaft Gleichgesinnter und im Idealfall Gespräche mit einem spirituellen Lehrer. Wer ständig von Menschen umgeben ist, die kein Interesse am Erkennen der höchsten Wahrheit haben, dessen Suche läuft Gefahr an Unterernährung zu sterben. Heutzutage kann man, selbst wenn man niemanden kennt, mit dem man sich über spirituelle Fragen austauschen kann, im Internet entsprechende Foren finden. Allerdings ist die Kenntnis der englischen Sprache von großem Vorteil. (Wer möchte, kann sich auch jederzeit an mich wenden.)

Auch ein tägliches kleines Ritual hilft. Beispielsweise kann man den Tag mit einer kurzen Besinnung beginnen: dass Erleuchtung auch für einen selbst möglich ist, wenn man sie nur für wichtig genug hält, um der Suche nach ihr einen angemessenen Platz einzuräumen. Man könnte es beispielsweise so formulieren:

„Moksha ist mein Geburtsrecht. Je wichtiger mir Moksha ist und je mehr Raum ich meiner Suche gebe, desto  höher steigt die Wahrscheinlichkeit, dass mir Moksha zuteil wird.“

Andere Übungen, wie Meditation, Yoga, Gebet, der Aufenthalt in der Natur u.ä. wirken ebenfalls unterstützend.

Oder man macht es sich zur Gewohnheit, die eigene innere Prioritätenliste einmal im Monat zu überprüfen. Es reicht, die ersten drei Positionen zu bestimmen. Wenn Moksha nicht dabei ist – was bei vielen der Fall sein wird – dann  kann man kurz untersuchen, ob dieses Ziel im oberen oder eher im unteren Bereich der Liste zu finden ist (einen mittleren Bereich sollte man nicht in Erwägung ziehen). Der Bestandsaufnahme müssen nicht unbedingt Taten folgen. Allein, dass man sich den Tatsachen stellt, wird mit der Zeit eine positive Wirkung zeigen.