Gott ist ein schwieriges Thema für viele spirituelle Sucher im Westen und oft einer der Gründe, warum sie sich östlich inspirierter Spiritualität zugewandt haben. 1

Was macht das Thema Gott so schwierig? Hauptsächlich die Geschichte des Christentums und anderer westlicher Religionen. Deren Gottesbegriff ist dualistisch – Mensch und Gott sind ewig verschieden voneinander. Dazu kommt das Fehlen der Vorstellung von Reinkarnation. In einem einzigen kurzen Leben soll der Mensch Gott beweisen, dass er gut ist und würdig, nach dem Tod zu ihm in den Himmel zu kommen. Der Gott, den der westliche Sucher kennt, erlässt obendrein oft archaische Gesetze, die dem heutigen gesunden Menschenverstand widersprechen (Zehn Gebote). Und egal wie lieb der liebe Gott ist – hinsichtlich der Einhaltung seiner Gesetze scheint er ziemlich humorlos zu sein, denn wer sich nicht nach ihnen richtet, der läuft Gefahr, nach dem Tod für immer (!) in der Hölle zu schmoren. Letzterer Aspekt wird in der heutigen christlichen Diskussion meist heruntergespielt, was jedoch nicht heißt, dass das Christentum die Hölle abgeschafft hätte. Wer die Wahl hat, hält sich aus solchen Ideenwelten lieber heraus.

Der Gottesbegriff im Advaita Vedanta

Im Gegensatz zu den (allgemein bekannten) Formen des Buddhismus hat Advaita Vedanta Platz für Gott. Allerdings wird Gott vollkommen anders definiert als wir es gewohnt sind. Gemäß dem Advaita Vedanta ist Gott die Gesamtheit aller natürlichen Gesetze und das ihnen innewohnende perfekte Zusammenspiel. Bei natürlichen Gesetzen geht es weder um von Menschen erschaffene, noch um von einem externen Gott erlassene Gesetze. Natürliche Gesetze kann man demzufolge nicht machen, sondern nur entdecken. Die meisten solcher Gesetzmäßigkeiten haben wir noch nicht entdeckt. Aber wir unterliegen ihnen, alles unterliegt ihnen, immer und ausnahmslos – physikalischen, psychologischen, biologischen, sozialen, wirtschaftlichen, geologischen Gesetzen usw. usw.

Das Netzwerk aller, nahtlos ineinander greifender, natürlichen Gesetzmäßigkeiten bildet eine Ordnung, die ganz von selbst funktioniert. Wir unterliegen ihr nicht nur, wir sind Teil von ihr. Sie sind das, was unserem Körper-Mind-System zugrunde liegt. Ohne sie, gäbe es weder uns noch irgendetwas anderes auf der Welt. Diese natürliche Ordnung wird im Advaita Vedanta Ishvara genannt und ist Gott.

 

Im Juni-Essay tauchte der Begriff Ishvara im Zusammenhang mit einer Komponente von Karma Yoga schon einmal auf:

„Ausschlaggebend für Karma Yoga ist bei jeglichen Handlungen die folgende Haltung: Ich tue, was ich tun kann und weiß, dass das Ergebnis meiner Handlung nicht in meiner Hand liegt. Das heißt, dass ich zwar von meinen Handlungen überzeugt, aber nicht mit ihnen identifiziert bin.

Hierzu gehört im Vedanta notwendig das Göttliche. Das Göttliche ist nichts anderes als die Gesamtheit aller natürlichen Gesetze und Ordnungen und ihr nahtloses Ineinandergreifen. Man nennt es Ishvara. Karma Yoga bedeutet: Ich handle nach bestem Wissen und Gewissen und überlasse das, was dabei rauskommt, Ishvara.“

 

Im Mai-Essay habe ich darüber geschrieben, wie sich dieses Eingebundensein in das Netzwerk natürlicher Gesetzmäßigkeiten (= Ishvara) manifestiert:

„ ‚Für das, was in meinem Leben passiert, bin ich allein zuständig.’ Das klingt doch sehr reif und erwachsen. Es hat nur einen Fehler: Es ist völlig unlogisch. Logisch ist, dass ich für mein Handeln verantwortlich bin; aber was dann daraus wird, liegt keinesfalls in meinem Zuständigkeitsbereich. Niemand ist zuständig für das, was in seinem Leben passiert.

Wenn es regnet und ich einen Regenschirm mitnehme, dann bedeutet das keineswegs, dass ich trocken bleiben werde. Vielleicht gibt es einen Sturm, der den Regenschirm unbrauchbar macht – weil er ständig umklappt oder weil er mir wegfliegt oder weil der Regen quer unter den Schirm fegt. Vielleicht rutsche ich irgendwo aus, verstauche mir den Fuß und liege hilflos auf dem Weg während der Regen auf mich hernieder prasselt. Oder ich vergesse den Schirm in der Straßenbahn. Oder ich stehe gut geschützt unter meinem Schirm an der Ampel und ein Auto fährt mit Karacho durch die Pfütze vor mir.

(…)

‚Ich muss meine Persönlichkeit verändern, um Erfolg zu haben.’ Nun, das mag sein. Oder auch nicht. Es lassen sich für beides Argumente finden; der Mind ist ungeheuer erfinderisch im Herstellen von Kausalbeziehungen. Es lohnt sich, öfter mal zu überprüfen, ob die angenommene Kausalität tatsächlich besteht.

‚Ich habe diesen Menschen nur getroffen, weil ich dort hingegangen bin, wo ich ihn getroffen habe.’ Sicher? Keineswegs. ‚Wenn ich mich nicht getraut hätte, offen meine Meinung zu sagen, wäre alles unter den Teppich gekehrt worden.’ Sicher? Nein, auch das ist nicht sicher. ‚Hätte ich das Geld nicht angelegt, wäre ich jetzt ein armer Mann.’ Bestimmt? Wer weiß? ‚Hätte ich die ganze Persönlichkeitsarbeit nicht gemacht, wäre ich jetzt ein psychologisches Wrack und mein Leben eine Katastrophe.’ Keine dieser Aussagen muss zutreffen. Denn auch hier kommt wieder die Unwägbarkeit des Lebens ins Spiel. Eine Kausalbeziehung zwischen meiner Persönlichkeit und den Ereignissen meines Lebens herzustellen, ist allein aufgrund der erforderlichen Datenmenge unmöglich.

Tatsache ist, der Mensch ist ausgesprochen hilflos. Es gibt dermaßen viel, worauf er keinen Einfluss hat, dass das wenige, worauf er Einfluss hat, kaum nennenswert erscheint.“

 

Fazit: Für mein Handeln bin ich zuständig – Aus, Schluss, Ende. Für alles Weitere bin ich nicht zuständig. Wer oder was ist zuständig? Ishvara = Gott. Was bedeutet das konkret? Vor allem bedeutet es, dass ich meine grundlegende Hilflosigkeit anerkenne, die darin besteht, dass ich nicht alles weiß und nicht alles kann. Gleichzeitig bedeutet es, anzuerkennen, dass es etwas gibt, dass All-Wissen und All-Können (=All-Macht) verkörpert, Ishvara.

 

Glauben

An einen von mir getrennten unsichtbaren Gott im Himmel muss ich glauben, ebenso an das, was ihn auszeichnet. An Ishvara zu glauben, macht keinen Sinn. Ishvara, die Gesamtheit aller im Universum gültigen Gesetzmäßigkeiten, ist – man braucht nicht an sie zu glauben. Wie stets im Vedanta, geht es auch beim Thema Gott nicht um Glauben, sondern um Verstehen.

Ebenso wenig muss ich glauben, dass Ishvara allwissend und allmächtig ist, weil er keine Person ist. Er ist vielmehr die Summe allen Wissens und aller Macht, und es ist nur logisch, dass die Gesamtheit aller im Universum gültigen Gesetzmäßigkeiten allwissend und allmächtig ist.

Der monotheistische Gott verfügt normalerweise über ein System von Geboten und Verboten und entsprechend Belohnung und Strafe. Die natürlichen Gesetzmäßigkeiten entfalten ihre Wirkung jedoch nicht als Ausdruck von Belohnung oder Strafe, sondern einfach, weil sie so sind, wie sie sind. Wenn mir beim Abtrocknen ein Glas auf den gekachelten Boden fällt, dann wird es zerbrechen. Das ist keine Strafe, sondern Gesetz. Wenn mir beim Abtrocknen eine Gabel auf den gekachelten Boden fällt, dann bleibt sie intakt. Das ist keine Belohnung, sondern ebenfalls Ausdruck einer natürlichen Gesetzmäßigkeit.

Auch an die Gesetzmäßigkeiten muss man also nicht glauben, sie offenbaren sich. Aber da uns nicht immer gefällt, was sich da offenbart, versuchen wir, ihnen auf die Schliche zu kommen und die, die wir nicht mögen, auszutricksen. Das scheint oft zu funktionieren. Ebenso oft funktioniert es allerdings nicht, besonders nicht, wenn man die Folgen längerfristig betrachtet. Je mehr Gesetzmäßigkeiten manipuliert werden, desto komplizierter die Gesetzmäßigkeiten, die sich in Folge der Manipulation offenbaren. Das ist ziemlich offensichtlich, wenn wir die technischen Entwicklungen der letzten 30 Jahre betrachten.

Ein simples Beispiel aus dem Alltag: Sie haben einen Termin und sind spät dran. Um das Gesetz der Zeit auszutricksen, nehmen sie eine Abkürzung. Vielleicht kommen sie dann doch noch rechtzeitig. Aber unzählige unvorhersehbare Umstände, die ebenfalls auf natürlichen Gesetzmäßigkeiten beruhen, können ihre Absicht zunichte machen.

Zu meinen, man könne die Gesetzmäßigkeiten in ihrer Gesamtheit jemals kennen, geschweige denn sie alle in den Griff bekommen, ist eine Illusion. Wir können versuchen sie zu ergründen; doch was bleibt dann noch, als sich staunend vor dieser natürlichen Ordnung in ihrer überwältigenden Komplexität zu verneigen?


Fußnote:

  1. Insbesondere der Buddhismus scheint ohne Gott auszukommen und ist daher sehr beliebt. Allerdings differenzieren die wenigsten westlichen Sucher zwischen den verschiedenen Formen des Buddhismus, die teilweise atheistisch, teilweise theistisch sind.