Dieses Essay schließt sich an das Essay vom letzten Monat an und baut darauf auf. Ohne das Februar-Essay verstanden zu haben, werden viele Aussagen im folgenden Essay unklar bleiben. Klickt daher noch einmal zurück, bevor ihr weiterlest.

Die Frage ist also: Wie entdecke ich das Glück, das bleibt, und das mit mir identisch ist?

Um diese Entdeckung zu machen, habe ich zwei Möglichkeiten, denn wie im letzten Essay ausgeführt, gilt die Gleichung:

Bleibendes Glück = Ich selbst.

Das heißt, ich kann mich entweder auf die Suche nach dem bleibenden Glück machen oder auf die Suche nach mir selbst. Es läuft auf dasselbe heraus.

Es ist auch nicht eins von beiden einfacher, denn in jedem Fall werde ich falsche Vorstellungen hinter mir lassen müssen, ob ich nun das Glück suche oder mich selbst. ­

Denn bisher habe ich gemeint, sowohl zu wissen, was Glück ist, als auch zu wissen, was ich selbst bin. Und in beiden Fällen hatte ich eine Vorstellung im Kopf, die dem, was ich eigentlich suche, nicht entspricht: Ich dachte, ich kenne das Glück und möchte mehr davon ­– aber dass ich mir eigentlich ein nie endendes Glück wünsche, war mir nicht klar. Und ich dachte, ich wüsste, wer ich bin, jedenfalls so ungefähr – aber dass ich Glück sein soll, darauf wäre ich bisher nicht gekommen.

Wem also die Schlussfolgerungen im letzten Essay einleuchten, der steht jetzt mit seiner Suche an einem neuen Punkt.

Was verspricht Erfolg?

Die Frage ist, habe ich mehr Erfolgsaussichten, wenn ich nach dem nicht endenden Glück suche oder wenn ich nach mir selbst suche. Auch wenn beides identisch ist, zu Beginn der Reise muss man ehrlicherweise zugeben, dass man es eigentlich als etwas Verschiedenes betrachtet. Um nicht ständig innerlich in zwei Richtungen gerissen zu werden, sollte man sich für ein Ziel entscheiden.

Ich plädiere für die Suche nach der Selbsterkenntnis. Warum?

Wenn man das nie endende Glück sucht, wird man zwangsläufig nach einer Erfahrung Ausschau halten, denn wir kennen Glück nun mal nur als eine Erfahrung. Da Erfahrungen stets einen Anfang und ein Ende haben, ist die Chance, über etwas nie Endendes zu stolpern, recht gering. Zudem wird man auch die Neigung haben, nach einem Weg, einer Methode, einer Aktion zu suchen, die das Glück herstellt – was wiederum einen Anfang impliziert und damit auch ein Ende. Obendrein hatten wir im letzten Essay stets nur von einer Hypothese gesprochen: Wenn es ein Glück gibt, das bleibt. Wenn. Mit so etwas die Suche zu beginnen, ist ein zweifelhaftes Unternehmen.

Sucht man dagegen nach sich selbst, dann ist das auf keinen Fall etwas, das es vielleicht gar nicht gibt. Und es ist auf keinen Fall etwas, das man herstellen muss. Schließlich ist man selbst ja schon da. Auch wenn vieles unklar ist, diese Tatsache ist offensichtlich.

Die Schlüssel

Gut, ich lasse mich also darauf ein, mein wahres Selbst zu suchen. Und dann? Wie gehe ich es an?

Das, was ich in Wahrheit bin, ist bereits da. Ich weiß nur nicht darum. Stattdessen halte ich mich für alles Mögliche, und nichts davon entspricht dem, worüber die Upanishaden1 und die Weisen der ganzen Welt sprechen. Folglich muss ich meine bisherigen Vorstellungen beiseite legen. Es ist ein Aussortierprozess. Das Grundprinzip heißt neti-neti, also: dies nicht, das nicht. Am Ende kann gar nichts anderes herauskommen, als das, was wirklich bin.

Eigentlich ist es also einfach, aber in der Praxis stellt es sich meist als schwierig heraus, weil man nicht den nötigen Abstand zur eigenen Persönlichkeit hat und immer wieder auf die alten Vorstellungswelten hereinfällt. Deshalb braucht man normalerweise Hilfe in Form eines Lehrers, der das wahre Selbst erkannt hat und vollkommen darin zuhause ist und der die Schlüssel des Advaita Vedanta kennt und einsetzen kann.

Was hat es mit diesen Schlüsseln auf sich? In den Vedanta-Schriften finden sich viele Aussagen über das wahre Selbst. Doch das zeichnet alle mystischen Richtungen der Welt aus, inklusive vieler Advaita-Satsang-Lehrer; diese Aussagen findet man dort auch. Aber was man nicht findet, ist ein funktionierendes Instrument, durch dessen Einsatz diese Aussagen für einen selbst zur ewig gültigen Realität werden.

Was das Vedanta so besonders macht, ist seine aus den Schriften abgeleitete Methodologie2. Diese Methodologie dreht sich um die Schlüssel des Advaita Vedanta3, die allein dazu da sind, dem Wahrheitssucher die Erkenntnis der Wahrheit, also dessen, was er wirklich ist, zu erschließen.

Zur Erklärung des Wortes: Methodologie ist die Theorie der Methoden, was ich hier „Schlüssel“ nenne, d.h. zur Methodologie gehören Aussagen darüber und Kriterien dafür,

  • welche Methode für bestimmte Anwendungen geeignet ist
  • wieso eine bestimmte Methode angewendet wird und keine andere
  • warum für bestimmte Probleme eine bestimmte Methode angewandt werden sollte

Die Methodologie des Advaita Vedanta ist schon viele tausend Jahre alt, aber Adi Shankara hat sie vor ca. 1300 Jahren neu herauskristallisiert und in eine Form gebracht, in der sie seitdem funktioniert – mit nur geringen Anpassungen an die jeweiligen zeitlichen und örtlichen Umstände.

Sie fußt auf den Aussagen der Vedanta-Schriften, die logisch bis ins kleinste Detail untermauert werden, damit sie dem Sucher helfen können. Denn im Advaita Vedanta geht es ums Verstehen; und damit man etwas wirklich versteht, muss es den Gesetzen der Logik gehorchen. Ansonsten kann man es nur glauben, und so wird es niemals zur eigenen Wahrheit werden.

Natürlich bedarf es einer gewissen Vorbereitung des Minds, damit dieser ausreichend fein und scharfsinnig ist und somit in der Lage, sich einem solchen Erkenntnisprozess zu stellen4. Deshalb ist die Vorbereitung bereits in die Methodologie einbezogen, damit jeder, der sich dieser Methodologie aussetzt, auch tatsächlich ans Ziel gelangt.

Für den normalen spirituellen Sucher ist ein solcher Ansatz gewöhnungsbedürftig, denn die meisten haben eine eher mystifizierende Sicht darauf, wie Erleuchtung passiert: unvermittelt und eher zufällig ­– eben eine Gnade, die einen überkommt oder auch nicht. Man kann sich da nicht gezielt drauf zu bewegen!

Das sieht das Vedanta komplett anders. Man kann! Wenn die Vorgehensweise stimmt. Und dass sich diese seit ewigen Zeiten bewährt hat, bewegt dann auch den einen oder anderen Skeptiker dazu, es mit ihr zu versuchen.

Zum Abschluss ein Auszug aus dem Essay „Einen Palast bauen“ vom November 2017:

Der Weg der Erkenntnis ist ein durch und durch systematischer Weg. Alles baut intelligent aufeinander auf. Und da es sich um einen Aufbau handelt, braucht man Vertrauen, um sich darauf einzulassen. Denn am Anfang wird man nicht in der Lage sein zu überblicken, wie das Ganze sich entfalten wird. Es ist vergleichbar mit einem Hausbau: Zuerst einmal wird ein großes Loch gebuddelt. Hätten wir kein Allgemeinwissen über Häuser und Hausbau, dann wären wir sehr skeptisch, wenn uns jemand erzählt, hier werde in einiger Zeit ein Haus, ja vielleicht sogar ein Palast stehen.

Die Erkenntnis darüber zu erlangen, dass ich das Eine, Einzige bin, was es gibt, ist leider kein so einfaches Projekt wie ein Hausbau. Und da sich außerdem nur sehr wenige Menschen für diese Erkenntnis interessieren, gibt es auch kein Allgemeinwissen darüber, wie dieser Prozess abläuft, nach dem Motto: Ah, bei Oskar entsteht gerade die höchste Erkenntnis. Er will nämlich Moksha, und seit er sich aktiv um die Erkenntnis bemüht, wird seine Buddhi täglich schärfer und feiner!

Obendrein ist das, was wir erkennen wollen, anders als alles, was man sonst so auf dieser Welt erkennen kann. Denn alles andere ist Objekt, während das, was wir erkennen wollen, wir selbst sind. Also Subjekt. Ohne Fachwissen haben wir da wenig Chancen.

In diesem Sinne ist Vedanta ein geheimes Projekt. Nur jemand, der sich wirklich gut mit dem Erkenntnisweg auskennt, ist in der Lage, dem Bauplan zu folgen, so dass am Ende wirklich der Palast dort steht und kein Trümmerhaufen. Dieser Jemand ist im Vedanta der Lehrer. Er selbst hat seinen Palast schon. Wer hat ihm geholfen? Sein Lehrer. Und dem hat wiederum sein Lehrer geholfen usw. usw. Ohne einen Lehrer geht es im Vedanta nicht.

Wofür steht der Palast?

Für das wahre Selbst, das man erkennen will?

Nein!

Natürlich nicht, denn das wahre Selbst ist schon da und schon immer da gewesen. Es muss nicht aufgebaut werden. Was noch nicht da ist und auch noch nie da war, ist die Erkenntnis darüber – nämlich dass das, was du bist, etwas anderes ist als das, wofür du dich hältst. Und am Ende: dass Du das Einzige bist, was es gibt. Das ist die Erkenntnis der Nicht-Dualität.

Der Vedanta-Lehrer kann dem Schüler also helfen, seinen Palast zu erbauen, d.h. diese Erkenntnis zu erlangen. Er weiß einfach, wie es geht. Und der Schüler vertraut darauf, dass er es weiß. Selbst, wenn er sich zunächst nicht vorstellen kann, aus welchem Grund etwas gelernt oder verstanden werden muss ­– er geht einfach mit.

Fußnoten:

  1. Upanishaden sind die Schriften, die dem Advaita Vedanta zugrunde liegen. Tatsächlich ist „Vedanta“ ein Synonym für „Upanishaden“. Sie befinden sich am Ende der Veden.
  2. http://www.univie.ac.at/ksa/elearning/cp/ksamethoden/ksamethoden-30.html
  3. Einer dieser Schlüssel ist zum Beispiel die im Februar-Essay, 2012 beschriebene Drig Drishya Methode, die Unterscheidung zwischen dem Subjekt und dem Objekt
  4. siehe Essay 9–2017, Buddhi-Fitness-Training