Zum letzten Essay habe ich eine Zuschrift bekommen, die ich aus mehreren Gründen erwähnenswert finde. Mit Erlaubnis der Wahrheitssucherin A. drucke ich sie hier erst einmal ab und möchte sie gerne kommentieren. Die Hervorhebungen sind von mir:
Und nun zum Wünschen:
„Früher“ habe ich lange Zeit überhaupt nicht gewünscht, jedenfalls nicht bewusst. Es entsprang eher einer Resignation oder eben diesem Misstrauen wie Du es beschreibst.
Vor Jahren bin ich durch die aufkommende Wunsch-Szene aufs Wünschen gekommen, was ich natürlich albern fand.
Aber irgendwie hat es mich gepackt und ich habe mich damit beschäftigt, was ich mir denn überhaupt wünschen würde, wenn ich könnte. Die Wunschformulierungen wurden immer differenzierter und mir wurde klarer, was mir denn fehlt, was ich brauchen würde, um „glücklich“ zu sein. Mir hat das ausgesprochen gut getan.
Zum „richtigen“ Wünschen gehört auch, dass ich mir in allen Facetten vorstelle, wie es wäre, wenn es in Erfüllung geht und dann manchmal auch erkenne, dass ich mir das gar nicht wirklich wünsche. Und dann weiter forsche, was es denn nun ist, was ich möchte.
Und dann ist es gaaaanz wichtig, den Wunsch loszulassen, nicht mehr (dauernd) daran zu denken. Mein Leben weiterzuleben: ohne fanatisch auf die Wunscherfüllung zu schielen, aber auch ohne zu denken: wird sowieso nichts.
Das ist ja die eigentliche Übung: dieses wirkliche Loslassen. Und erfahrungsgemäß gelingt mir das besser, wenn ich mich vorher ganz intensiv mit meinem Wunsch beschäftigt habe.
Zum Abschluss eines Wunsches füge ich immer hinzu: „wenn es dem großen Ganzen dient“. Damit drücke ich aus, dass ICH das nicht überblicke. Und wenn er dann in Erfüllung geht, kann ich ihn bedenkenlos annehmen!
Manchmal, besonders natürlich in schwierigen Situationen, wünsche ich und genau das stärkt mein Vertrauen ins Leben. Vielleicht eine sehr kindliche Vorstellung, aber auch die Vorstellung eines Schutzengels hat mich als Kind manchmal sehr beruhigt. Da ist irgendetwas Größeres und das ist wohlwollend, auch mit mir. Ich fühle mich dann nicht mehr ganz so nackt, hilflos, allein und auf die Erde geworfen. Meine Wünsche werden von ihm, so gut es geht, berücksichtigt.
Die Möglichkeit, dass jemand sich gar nicht erst traut, etwas zu wünschen, ist mir tatsächlich beim Schreiben des Essays nicht in den Sinn gekommen! Die meisten leiden eher an ihren allzu vielen und allzu mächtigen Wünschen.
Aber natürlich ist es für diejenigen, die sich das Wünschen noch gar zugestehen, wichtig, sich diesen Bereich des Lebens zurückzuerobern. Und wenn jemand es auf eine so bewusste und reife Weise tut, wie diese Leserin, dann ist das wirklich erfreulich!
Wünschen ist, wie gesagt, vom Standpunkt des Advaita Vedanta ein normaler menschlicher Vorgang, der das Leben überhaupt erst möglich macht. Ich würde sogar sagen, dass ein Mensch, der gar nicht wünscht, nicht lebensfähig ist.
Auch ganz am Ende der Reise gilt: Wer sich nicht wünscht, erleuchtet zu werden, der wird es wahrscheinlich auch nicht werden. Das Leben zwingt niemandem die Erleuchtung auf. Auch wenn es mit dem Wunsch danach nicht getan ist – man muss sie sich schon wünschen. Das war bereits Thema des ersten Essays 2011, Die Sehnsucht nach der Wahrheit
Die Leserin beschreibt wunderbar, wie sie sich das Wünschen wieder zu eigen gemacht hat. Und ich kann ihren Weg nur allen empfehlen, die sich mit dem Wünschen schwer tun. Allerdings verlangt dies Ehrlichkeit sich selbst gegenüber: Wer eigentlich nur auf eine bessere Methode hofft, mit der sich seine Wünsche endlich erfüllen, der kultiviert nur etwas, was er ohnehin schon zur Genüge hat.
Das Loslassen des Wunsches und die Formel „wenn es dem großen Ganzen dient“ zeigen, dass A. trotz und, wie sie sagt, gerade wegen ihrer intensiven Beschäftigung mit dem Thema, nicht in die Identifikation mit dem Wunsch geht. Damit drücke ich aus, dass ICH das nicht überblicke. Und wenn er dann in Erfüllung geht, kann ich ihn bedenkenlos annehmen!
Das nennt man im Advaita Vedanta „Ishvara Prasada“ – alles, was geschieht, unterliegt den unübersehbar vielen natürlichen Gesetzmäßigkeiten des Lebens, genannt Ishvara. Und Ishvara ist das Göttliche oder Gott. Wenn man sich von den westlichen Gottesvorstellungen lösen kann: Alles ist Geschenk (Prasada) Gottes. – Was soll es sonst sein? Alles ist Ergebnis des perfekten Zusammenspiels all dieser Gesetzmäßigkeiten.
Doch A. geht noch weiter und erwähnt das Allerwichtigste: die Bereitschaft, die eigene Hilflosigkeit zu spüren und sich vertrauensvoll an etwas Großes, Gutes zu wenden. Wir wissen, dass dieses Große, Gute eigentlich keine Person ist, sondern sozusagen das Leben selbst. Aber fast alle Menschen fühlen sich wohler mit einer Personifikation des Großen Guten.
Ich weiß nicht, ob es auch A. so geht, aber egal, ob man das Göttliche nun personifiziert oder nicht: Wo die Hinwendung zum Göttlichen fehlt, bleibt die spirituelle Erkenntnis oft blutleer und abgetrennt von der eigenen Lebenswirklichkeit. Meine Erfahrung mit westlichen Wahrheitssuchern und ihrem Gottestrauma ist, dass ihnen genau diese Hinwendung zum Großen Guten oft schmerzhaft abgeht. Sie mögen erkenntnismäßig schon sehr fortgeschritten sein, aber sie können sich nicht in ihre Erkenntnis hinein fallenlassen.
Warum nicht? Weil ihnen Vertrauen fehlt. Darüber habe ich im Februar geschrieben und ich empfehle allen, sich dieses Essay noch einmal durchzulesen. Es beginnt etwas abstrakt, aber endet sehr konkret: Das größere Ganze
A. schreibt:
Manchmal, besonders natürlich in schwierigen Situationen, wünsche ich und genau das stärkt mein Vertrauen ins Leben. Vielleicht eine sehr kindliche Vorstellung, aber auch die Vorstellung eines Schutzengels hat mich als Kind manchmal sehr beruhigt. Da ist irgendetwas Größeres und das ist wohlwollend, auch mit mir. Ich fühle mich dann nicht mehr ganz so nackt, hilflos, allein und auf die Erde geworfen. Meine Wünsche werden von ihm, so gut es geht, berücksichtigt.
Ja! Genau so ist es, genau dieses Vertrauen ist nötig und fehlt vielen Wahrheitssuchern. Wir sind alle schon so aufgeklärt und abgeklärt und stehen über allem – auch über dem, worüber wir gar nicht stehen können: das große Ganze, in das wir eingewoben sind.
A. hätte auch schreiben können „manchmal, besonders in schwierigen Situationen, bete ich“. Vielleicht hat sie sich nur nicht getraut. Vom Standpunkt des Advaita Vedanta aus betrachtet, ist Gebet jedenfalls nichts, dessen man sich schämen müsste. Ganz im Gegenteil: Es ist Ausdruck der eigenen Anerkennung und Wertschätzung von etwas Größerem – in welches das persönliche Ich eingebunden, von dem es durchdrungen und daher ungetrennt ist.
Dass sowohl dieses Größere Ganze wie auch das persönliche Ich, beide, zur relativen Ebene gehören und ihrerseits durchdrungen sind von Sein-Bewusstsein-Grenzenlosigkeit, dem Absoluten, ist davon völlig unbenommen.
Sein-Bewusstsein-Grenzenlosigkeit, das eine Sat-Chit-Anand, ist letztlich das einzige, was ist, und worauf das ganze plurale Spiel des Lebens beruht und aus dem es besteht.
Dies in vollem Umfang zu erkennen, ist das Ziel des Vedanta-Weges.