Mit dem Thema „Wünsche“ setzen sich viele spirituellen Sucher auseinander. Und viele versuchen sich immer mal wieder – erfolglos – in der Wunschlosigkeit, weil sie gehört haben, dass das Wünschen ein Hindernis auf dem Weg ist. Andere wollen sich befreien von ihrem „inneren Asketen“, der sich ständig zwanghaft alles versagt. Und wieder andere meinen, es gehe nur um das „richtige Wünschen“, was jedoch von unterschiedlichen Leuten unterschiedlich definiert wird.

Vom Standpunkt des Advaita Vedanta gilt das Wünschen als ein normaler menschlicher Vorgang, der das Leben überhaupt erst möglich macht. Insofern geht es nicht darum, Wünsche aufzugeben. Wunsch oder nicht Wunsch, weder das eine noch das andere ist ein Problem. Wieder einmal hängt alles an der Identifikation. Ein harmloser kleiner Wunsch nach einem Frühstücksbrötchen kann genau das sein, harmlos. Oder er geht einher mit einer starken Identifikation, und dann richtet er Schaden an, weil man ständig mit etwas beschäftigt ist, das spirituell nutzlos ist.

Die Identifikation ist immer an das gewünschte Ergebnis gekoppelt, und in mehreren anderen Essays ging es bereits darum, dass zwar unsere Handlungen bei uns liegen, das Ergebnis unserer Handlungen jedoch keineswegs in unserer Hand liegt. Dies ist Thema der folgenden beiden Essays:

Logisch und Psychologisch (Essay 5-2012)

Gott ? (Essay 8-2012)

 

Sobald wir meinen, ohne etwas nicht leben zu können, ist Identifikation im Spiel. Das bedeutet, auch der Asket, der meint, er sei außerstande in einem weichen Bett zu schlafen statt auf seinem Nagelbrett, ist identifiziert. Genauso wie der Fernsehende, der ohne seine Dosis an Fernsehen nicht „runterkommt“ oder der Drogenabhängige, der ohne seine Droge nicht „draufkommt“. Eine Gewohnheit kann eine Sucht sein – oder auch nicht.

Denn jeder hat Gewohnheiten. Jeder mag bestimmte Dinge und möchte ungern auf sie verzichten. Oder mag bestimmte Dinge nicht und versucht, sie zu vermeiden. All dies ist kein Problem, solange man damit umgehen kann, wenn das Leben in eine andere Richtung spielt, als die eigenen Wünsche es tun würden.

 

„Richtig wünschen“ dagegen ist ein Problem, denn es weist auf eine Identifikation hin. Wer macht sich schon die Mühe, „richtig“ zu wünschen, wenn doch jeder Säugling bereits weiß, wie man wünscht? Diese Mühe macht man sich nur, wenn man ganz sicher gehen will, dass das gewünschte Ergebnis zustande kommt. Und wenn es einem derart wichtig ist, ist man identifiziert.

Wer also aufs richtige Wünschen verzichtet und die Wünsche, die er hat, im Kontext des großen Ganzen sehen kann, der braucht sich um dieses Thema keine Sorgen zu machen. Denn wer seine Wünsche im Kontext des großen Ganzen sieht, weiß, dass sein Wunsch nur ein Faktor unter den unendlich vielen Faktoren ist, die im Leben eine Rolle spielen. Er freut sich und ist dankbar, wenn sich sein Wunsch erfüllt.

Aber was macht er, wenn sich sein Wunsch nicht erfüllt?

Kein Frühstücksbrötchen.

Was nun?

Was immer er macht – er bleibt relativ gelassen. Vielleicht setzt er mehr Energie ein, um seinem Wunsch eine weitere Chance zu geben. Vielleicht lässt ihn fallen – vorläufig oder auch endgültig. Er muss es nicht mögen, dass sein Wunsch nicht in Erfüllung gegangen ist, aber wenn er emotional darauf reagiert, ist er mit seinem Wunsch identifiziert. Ein kurzes Genervtsein, eine rasch vergehende Verärgerung, das sind noch keine Identifikationen. Sie wachsen sich erst zu einer Identifikation aus, wenn man sie aufrechterhält. Ansonsten zieht so etwas schnell vorüber und stört nicht weiter.

 

Die allerbeste Haltung im Leben ist eine spielerische, humorvolle Haltung. Nun ist das nicht gerade das, was der normale Deutsche in seiner Erziehung lernt. Die meisten unserer Eltern und Großeltern waren alles andere als spielerisch. Wir müssen es uns also von anderen abgucken. Von Brasilianern zum Beispiel, und auf eine andere Weise von Indern, aber man kann eigentlich so gut wie jede Mentalität nehmen – die meisten sind lockerer und in gewissem Sinne vertrauensvoller als wir, insbesondere alle, die südlicher auf dieser Erde leben.

Vertrauen (Essay 12-14)

Das größere Ganze (Essay 2-2015)

 

Eine spielerische Haltung ist immer frei von Identifikation. Deshalb ist sie so wertvoll. Spielerisch sein bedeutet, den Augenblick genießen, sich gerne überraschen lassen und mit Freude improvisieren. Das kann man nur, wenn Vertrauen da ist. Doch wie kommt man zu diesem Vertrauen? Es gibt viele Methoden, um Vertrauen zu entwickeln.

Umgang mit Identifikationen (Essay 8-2014)

 

Um tatsächlich spielerisch zu sein, bedarf es auch eines Entschlusses. Und zwar des Entschlusses zum Vertrauen. Misstrauen beruht nicht immer auf schwerwiegenden Kindheitstraumata, sondern ist auch eine Gewohnheit. Außerdem ist Misstrauen ein Beharren auf der Position des separaten Ichs. Man könnte sagen, es ist egozentrisch. Sich stattdessen auf die Seite des Vertrauens zu stellen, geht auch gegen den eigenen Stolz: So einfach ist es nicht! Wenn ich nicht aufpasse, dann geht alles schief.

Aber niemand ist in der Lage, Ishvara, das große Ganze, zu sein. Der Entschluss, sich dem großen Ganzen anzuvertrauen, sich ihm hinzugeben, befreit von der erdrückenden Last, immer alles regeln zu müssen. Und von der Frustration, dass dies so selten klappt – besonders in den Bereichen, die einem wichtig sind. Und es befreit von der einen grundlegenden Identifikation, die allen anderen zugrunde liegt: der Identifikation mit einem von allem getrennten Ich, das dafür zuständig ist, sich allein durchs Leben zu schlagen.

Eigentlich wollen alle Leser dieser Essays diese Befreiung. Aber sie ist nicht kostenlos. Der Preis ist das eigene Misstrauen – gegenüber der Welt, gegenüber dem Göttlichen und gegenüber sich selbst.