Wer stets davon ausgeht, dass sich alles wunschgemäß entwickeln wird, ist ein Optimist. Optimismus ist fraglos eine wertvolle Eigenschaft, die einem Schwung und Lebensfreude verleiht. Wenn man gleichzeitig über Realismus verfügt, wird einem eine optimistische Einstellung auch eine Menge Erfolgserlebnisse bescheren. Warum nur dann? Weil die eigenen Wünsche sich an der Realität ausrichten und nicht auf Selbsttäuschung beruhen.

Optimismus ist gut, doch Vertrauen ist mehr als Optimismus. Für den Optimisten stehen immer noch die eigenen Vorstellungen, das eigene Verlangen, die eigenen Ziele im Vordergrund. Zwar reagiert er flexibel, wenn etwas in die falsche Richtung läuft, denn sein Optimismus lässt ihn sogleich nach einer anderen aussichtsreichen Möglichkeit Ausschau halten. Er verliert also nicht so leicht den Mut, aber wenn die Dinge seinen Plänen häufig zuwiderlaufen, dann bedrückt es ihn doch. Insofern hängt Optimismus immer noch von äußeren Umständen ab.

Vertrauen dagegen ist bedingungslos. Egal wie sich alles entwickelt, egal ob das Leben die eigenen Wünsche erfüllt oder nicht: Echtes Vertrauen ist unerschütterlich. Es orientiert sich auch nicht an bestimmten Personen oder Situationen. Nein, Vertrauen geht einfach davon aus, dass alles, was im Leben geschieht, richtig und gut ist. Gemessen an was? Während Optimismus „richtig und gut“ an den eigenen Wünschen misst, misst Vertrauen „richtig und gut“ an gar nichts. Denn echtes Vertrauen geht davon aus, dass es gar nichts anderes gibt als „richtig und gut“.

Das bedeutet nicht, dass jemand, der vertraut, keine Wünsche hat. Vertrauen lässt die eigenen Vorstellungen zu, nicht jedoch das Festhalten an den eigenen Vorstellungen. Wer im Winter die Heizung hochdreht, der wünscht sich, dass es in den Räumen warm wird. Wer etwas spendet, der wünscht sich, dass die Spende ankommt. Wer eine Frage stellt, der wünscht sich eine zufriedenstellende Antwort. Und wenn diese Wünsche nicht erfüllt werden, dann ist das enttäuschend.

Ent-täuschend.

Denn wer erwartet, dass die eigenen Wünsche für das Leben maßgeblich sind, der unterliegt einer Täuschung. Solange die Wünsche erfüllt werden, bleibt die Täuschung unentdeckt. Doch sobald sie nicht erfüllt werden, offenbart sich die Täuschung im Gefühl der Enttäuschung (mag es noch so mild sein). Das Leben ist unseren Wunschvorstellungen nicht verpflichtet. Das mutet vielleicht pessimistisch an, doch hat es mit Pessimismus nichts zu tun. Es ist eine einfache Tatsache: Das Leben ist uns nichts schuldig.

Wer vertraut, hat mit dieser Tatsache kein Problem. Er ist nicht ent-täuscht, wenn seine Wünsche nicht erfüllt werden, auch wenn er alles dransetzen mag, damit  sie sich erfüllen. Er hat kein Interesse, dem Leben etwas abzuringen, weil ihm klar ist, dass das gar nicht geht. Dieses absolute Vertrauen ist nur demjenigen möglich, der sich ungetrennt vom Leben weiß: Wenn ich und das Leben nur zwei Worte für ein und dasselbe sind, dann kann es zwischen beidem keinen Konflikt geben.

Doch wer hat schon bedingungsloses, absolutes, Vertrauen? Die meisten sind froh, wenn sie wenigstens relatives Vertrauen haben, statt immer wieder ihren Befürchtungen, Zweifeln, und Bedenken zu unterliegen. Relatives Vertrauen ist im besten Falle Optimismus. Der Wahrheitssucher befindet sich zwischen diesen beiden Polen: relatives Vertrauen und absolutes Vertrauen. Da absolutes Vertrauen nur aus relativem Vertrauen erwächst, ist es für den Sucher nützlich und wichtig, seine Fähigkeit zu vertrauen zu stärken.

Vertrauen aufbauen

Es gibt viele Möglichkeiten, das eigene Vertrauen zu stärken, zum Beispiel therapeutische Aufarbeitung, Coaching, Survivaltraining, Schulungen, Entspannungstechniken, Meditation, Gebet. Je nach individueller Situation ist das eine oder das andere erfolgversprechend oder eine Kombination aus mehreren davon. Keine dieser Maßnahmen ist nachhaltig, doch die meisten sind sinnvoll. Allerdings nicht jede zu jedem Zeitpunkt im Leben. Es kommt darauf an, wo man steht.

Ich gehe hier davon aus, dass die meisten Leser Therapie, Entspannungstechniken, Meditation usw. kennen und hinsichtlich ihres Vertrauens einen gewissen Erfolg damit erzielt haben. Und dass sie diese Essays lesen, weil immer noch etwas fehlt und ihr Vertrauen, selbst wenn es relativ stabil ist, in gewissen Situationen in sich zusammenfällt.

In diesem Fall bedarf es anderer Methoden. Die Methode, die ich anwende und für außerordentlich effektiv halte, habe ich im letzten Essay erwähnt. Aber hier soll es nicht um sie gehen, sondern um etwas viel Grundlegenderes. Eins muss einem allerdings klar sein: Auch die beste aller Methoden wird kein absolutes Vertrauen erzeugen. Dennoch lohnt es sich, nach diesen besten Methoden zu suchen. Und wie erkennt man sie? Die besten Methoden zeichnen sich dadurch aus, dass sie im Mind einen relativ hohen Grad an Gelassenheit erzeugen. Die Methode, die seit ewigen Zeiten und in allen Kulturen dazu eingesetzt wird, ist das Gebet. Sie ist unübertrefflich.

Leider ist Beten in vielen Advaita-Kreisen ein Tabu – was durchaus logisch zu sein scheint, denn Beten ist dualistisch. Doch alles, was wir in unserem Leben tun, ist dualistisch. Beten ist eine Handlung, und jede Handlung ist Ausdruck der Dualität. Doch ebenso wie wir andere Handlungen weiterführen, ohne dass wir dadurch die Nicht-Dualität in Frage stellen, so können wir auch beten, wenn wir das für sinnvoll halten und wenn es uns Freude macht.

Über die Wurzeln der Tabuisierung von Gott und Gebet habe ich bereits geschrieben, und ich bitte die Leser, sich dieses Essay (Gott ?) noch einmal durchzulesen. Denn was man im Advaita Vedanta unter Gott versteht, hat mit der uns vertrauten Gottesvorstellung nichts gemein. Erst wenn klargestellt ist, dass es nicht um eine Rückkehr zum monotheistischen Gottesbegriff geht, kann Beten auf dem Advaita-Weg Sinn machen.

Wieso stärkt Beten Vertrauen?

  • Zunächst einmal: Im Beten wendet man sich etwas Größerem zu.
  • In diesem Sinne ist es eine Art „Vorübung“ für die Erkenntnis, dass das eigene begrenzte, von allem getrennte Ich wirklich das eine alles durchdringende Selbst ist.
  • Tatsächlich werden Fortgeschrittene auf dem Advaita-Weg sich mehr und mehr sowohl als Betende, als auch als das Beten, als auch als das Angebetete erfahren.
  • Zum zweiten: Durch Beten und die Idee von Gott entsteht Gelassenheit.
  • Gelassenheit ist unverzichtbar, weil sie den Mind öffnet für die Erkenntnis der Nicht-Dualität.
  • Diese unumkehrbare Erkenntnis ist das einzige, was absolutes Vertrauen ermöglicht.
  • Nichts, absolut nichts, ist in der Lage, dies zu tun – außer der Erkenntnis, nicht getrennt zu sein.
  • Gelassenheit entsteht, wenn der Sucher sich erlaubt, sich seiner Sehnsucht hinzugeben, von etwas Größerem getragen zu sein, statt auf der Vorstellung zu beharren, dass er alles selbst bewerkstelligen muss.
  • Niemand ist in der Lage, alles selbst zu bewerkstelligen, weil – wie ich schon oft gezeigt habe1, wir zwar handeln können, das Ergebnis unserer Handlungen jedoch nicht von uns abhängt sondern von unendlich vielen Gesetzmäßigkeiten, die wir unmöglich alle berücksichtigen können.
  • Wer davon ausgeht, das er alles allein hinkriegen muss, der wird sich immer im Kampf mit etwas befinden, das er per se niemals besiegen kann. Womit im Kampf? Mit dem großen Ganzen, von dem er Teil ist.
  • Dieser Kampf ist einerseits Ausdruck des grundlegenden Missverständnisses der Getrenntheit. Andererseits verstärkt der Kampf das Gefühl der Getrenntheit, denn Druck erzeugt Gegendruck.

Beten und die Hingabe ans Göttliche ist die beste und nachhaltigste Methode, um Gelassenheit zu stärken und Vertrauen aufzubauen. Meine Erfahrung ist, dass jede andere Vertrauen stärkende Methode nur in dem Maße greift, wie Beten und die Hingabe ans Göttliche im eigenen Leben Platz findet – nicht als Pflichtprogramm sondern, weil es ein Bedürfnis und eine Freude ist. Anstelle von Beten und Hingabe ans Göttliche kann auch die Liebe und Hingabe an einen spirituellen Lehrer treten. Doch mit den Lehrern ist es so eine Sache. Vielleicht ist ein Lehrer vertrauenswürdig, vielleicht aber auch nicht. Im letzteren Fall geht der Schuss sozusagen nach hinten los. Das Göttliche (im Sinne des Advaita Vedanta) ist immer und uneingeschränkt vertrauenswürdig.

Wohl bemerkt, werden durch Beten „nur“ Vertrauen und Gelassenheit entstehen. Um Erkenntnisse muss man sich gesondert bemühen. Doch kann der Weg der Erkenntnis keine Früchte tragen, wenn Vertrauen fehlt, weil der Mind immer wieder von seiner Erkenntnisfindung abgelenkt wird. Ohne Vertrauen ist man viel zu beschäftigt mit der Sicherung des eigenen Lebens, da man sich ja allein dafür zuständig glaubt. So bleibt dann oft weder Zeit, noch Energie, noch Geistesgegenwart, um das eigene Erkennen zu vertiefen.

Wie viel einfacher ist es, sich dem anzuvertrauen, was tatsächlich zuständig ist! Im Advaita Vedanta nennt man es Ishvara, man kann es „das große Ganze“ nennen oder einfach das Göttliche.

Alle, die an dem Thema Beten näher interessiert sind und auch daran, wie Beten im Advaita aussehen könnte, können gerne das Essay „Beten für Advaitins?“ als Pdf anfordern.

Ich habe das Essay im Jahr 2012 für die englische Seite Advaita Vision geschrieben, es ins Deutsche übersetzt und etwas überarbeitet.

Fußnote:

  1. Logisch und Psychologisch