Jeder Mensch sucht das Glück – ob er nun eine Firma gründet, ein Selbstmordattentat verübt, den Hunger in der Welt bekämpft oder die Natur zerstört. Auch spirituelle Sucher wollen das Glück – allerdings nicht irgendein schnödes weltliches Glück. Nein, viele spirituelle Sucher wollen die Glückseligkeit.
Aber was ist das genau – Glückseligkeit? Die meisten würden sagen, es ist so etwas wie Glück, nur gesteigert ins Unermessliche. Glückseligkeit wird im Allgemeinen verstanden als das ultimative Glücksgefühl.
Vom Standpunkt des Advaita Vedanta handelt es sich beides Mal um einen Zustand. Der Unterschied liegt eigentlich nur darin, dass der nach Glückseligkeit strebende spirituelle Sucher einen hochwertigeren Zustand haben will als der gewöhnliche Mensch.
Nun ist es tatsächlich so, dass alle der Himalaya-Region entsprungenen spirituellen Richtungen von der Glückseligkeit reden – auch Advaita Vedanta: Mit der Erleuchtung erkennt der Mensch, dass er Sat (Sein) – Chit (Bewusstsein) – Ananda (Glückseligkeit) ist.
Das hörend, meint der Wahrheitssucher, dass er sein Bewusstsein erweitern müsse, um irgendwann ganz und gar zu Bewusstsein zu werden und dass sich dann auch die versprochene Glückseligkeit einstellen werde. Vom Bewusstsein im Sinne von Advaita Vedanta, und dass man es nicht erweitern kann, war im letzten Essay die Rede. Warum kann man es nicht erweitern? Weil jeder seiner Natur nach Bewusstsein IST und diese einfache Tatsache nur erkennen muss.
Genauso verhält es sich mit der Glückseligkeit/Ananda. Ananda ist kein zu erreichender Zustand, so wie das Glück, das man durch Handlungen anstreben und steigern kann. Ananda/Glückseligkeit ist auch kein Gefühl. Ananda ist das, was jeder seiner eigentlichen Natur nach IST. Wenn ich etwas fühle, dann kann das alles Mögliche sein, aber auf keinen Fall ist es Ananda. Ananda ist das, was ich bin.
Wer auf der Suche ist, lebt in einer dualen Welt: Da bin ich und da ist das, was ich suche. Ich kann die Dualität nicht vermeiden, auch wenn es die Wahrheit ist, die ich will. Der Mind, unser Gedanken- und Gefühlsapparat, kann sich nicht über die Dualität erheben. Das muss er auch gar nicht. Er muss nur seine Begrenztheit erkennen. Diese besteht in seiner Gewohnheit, aus allem und jedem ein Objekt zu machen. Diese Gewohnheit basiert auf seiner Erfahrung der dualen Welt: Ich (Subjekt) will eine Urlaubsreise (Objekt). Ich (Subjekt) will keine Umweltverschmutzung (Objekt). Ich (Subjekt) will gesund sein (Objekt) usw.
Dass der Mind seine Gewohnheit auch auf die Erkenntnis der Wahrheit überträgt, ist nur natürlich: Ich (Subjekt) will die Wahrheit (Objekt). Ich (Subjekt) will bewusst sein (Objekt). Ich (Subjekt) will Glückseligkeit (Objekt).
Das Problem ist, dass das, was wir auf unserer Suche nach der Wahrheit suchen, kein Objekt ist – es ist das Subjekt.
Solange der Mind Sat – Chit – Ananda als Objekt sucht, wird er es niemals finden, weil es kein Objekt ist. Die Buddhi (der höhere Mind) ist jedoch in der Lage davon auszugehen, dass Sat – Chit – Ananda das Subjekt ist – das, was der Sucher von allem Anfang an ist. Dann kann sie sich daran machen, das Subjekt genauer zu untersuchen und es in seiner Reinform, unabhängig von Objekten, zu erkennen. Wenn diese Erkenntnis vollständig ist, ist die Suche zu Ende.
Zu erkennen, dass ich Sat bin, Sein, ist noch relativ leicht. Jeder weiß, dass er IST, auch wenn er vielleicht nicht weiß, was er genau ist. Sein Dasein ist unverrückbar. Das heißt, wenn ich einmal absehe von Objekten aller Art, dann erkenne ich mich als Subjekt, als ein „Ich bin“, als Sein.
Zu erkennen, dass ich Chit bin, Bewusstsein, ist schwieriger, denn der Mind muss sich noch stärker von seiner Gewohnheit zu „objektifizieren“ zu lösen. Hierüber hab ich im März geschrieben.
Zu erkennen, dass ich Glückseligkeit bin, ist am schwierigsten – unter anderem weil wir so erpicht darauf sind. Wir wollen unsere Vorstellung nicht wirklich hinterfragen, denn ohne die Idee, die wir von Glückseligkeit haben, was soll dann überhaupt die ganze Suche?! Wozu die Wahrheit finden wollen, wenn ich dann gar nicht glückselig bin – jedenfalls nicht so, wie ich es mir immer ausgemalt habe?
Alles, was ich wissen muss, ist: Um das, was ich mir darunter vorstelle, geht es nicht. Wann immer ich etwas erlebe, was in meine Idee von Glückseligkeit hineinpasst, ist es am besten, es wahrzunehmen und abzuhaken. Da es unter Garantie nicht Ananda ist, spielt es keine Rolle.
Was Ananda ist, erkenne ich erst, wenn der Weg zu Ende ist.
Doch um die Erkenntnis von Sat-Chit – Sein-Bewusstsein – kann man sich aktiv bemühen und wer es erkannt hat, der braucht sich um die Erkenntnis von Ananda keine Sorgen zu machen. Sat–Chit–Ananda kann man nicht auseinander dividieren. Ananda ist Teil des Gesamtpakets – wer seine wahre Natur als Sein und Bewusstsein erkennt, wird auch erkennen, dass er Glückseligkeit ist.
Und dann macht es ihm nichts mehr aus, dass Glückseligkeit mit Glücksgefühlen nichts zu tun hat. Denn wer interessiert sich schon für Glücksgefühle, wenn er weiß, dass er Glückseligkeit ist?
zuletzt editiert am 20.10.2018