In der Quantenmechanik geht man vom Pauli’schen Ausschließungsprinzip aus. Dies besagt, dass zwei Elektronen niemals gleichzeitig denselben Platz einnehmen. Da alles auf dieser Welt aus Elektronen besteht, bedeutet dies, dass das, was wir Leben nennen (Lebloses eingeschlossen) nichts anderes ist als ein ewig wirbelnder Elektronentanz. Ein Tanz, bei dem es keine Unfälle gibt. Mit jeder Veränderung bewegen sich Elektronen und nehmen Plätze ein, die vorher von anderen Elektronen eingenommen wurden, die sich wiederum woanders hinbewegen, wo vorher auch wieder andere Elektronen waren usw. usw. Unendlich, ewig.

Das Leben in seiner explodierenden Kreativität und unendlichen Freiheit – inklusive individuellem Ausdruck in seiner kunterbunten Vielfalt – ist ein Wunder. Alles greift nahtlos ineinander, ist perfekt aufeinander abgestimmt, optimal miteinander verflochten.

Doch wenn man sich das Leben konkreter betrachtet, können einem doch Zweifel kommen. Was ist mit Erdbeben, mit Seuchen, Dürrekatastrophen? Mit Krankheit, Alter, Tod? Kann man all das wirklich als Wunder-voll bezeichnen? Dabei ist es bei Naturereignissen noch relativ leicht, sie zumindest als unvermeidliche Begleiterscheinungen des Gesamtphänomens „Leben“ hinzunehmen: Es ist halt wie es ist. Das Zusammenspiel der natürlichen Gesetzmäßigkeiten ist optimal und dabei heraus kommt manchmal ein Jahrhundertsommer und manchmal ein Jahrhunderthochwasser, manchmal Gesundheit, manchmal Krankheit. So ist das Leben nun einmal – auf seine eigene Weise perfekt.

Diese gelassene Haltung schwindet jedoch dahin, wenn „Menschenwerk“ ins Spiel kommt. Was, wenn die Krankheit oder Seuche durch die Schlampigkeit eines Labors zustande kommt? Was, wenn der Tod nicht „natürlich“, sondern ein Atomunfall ist, und was ist mit dem Aussterben der Elefanten oder Feinstaubbelastung? Solche Erscheinungen sind ja Menschen gemacht, die kann man doch nicht dem Leben in die Schuhe schieben! Oder Menschen Gemachtes im Kleinen, zum Beispiel Zugverspätungen, Energiekostenexplosion und Zeitungssterben, ganz abgesehen von gewissen unangenehmen Zeitgenossen und ihren unangenehmen Aktionen – so etwas soll die Perfektion des Lebens zeigen?!!

Nun ja, es ist einfach unlogisch, die Menschen vom Leben zu trennen. Schließlich ist jeder Mensch, auch der unmenschlichste, Ausdruck des Lebens. Tatsächlich vollziehen wir diese Trennung nicht immer, sondern nur dann, wenn uns menschliches Handeln und sein Ergebnis nicht zusagt.

Drehen wir es einmal um: Was ist mit dem Nasenspray, das aus einer verschnupften Nase im Handumdrehen eine freie Nase macht, der Vorausberechnung eines Vulkanausbruchs, aufgrund derer eine ganze Stadt gerettet werden kann, oder mit der Möglichkeit, in 7 Stunden von Berlin nach New York zu reisen? Ohne zu zögern würden wir sagen, ja, das Leben ist großartig, weil es dem Menschen derartige Leistungen möglich macht. Wenn uns das Ergebnis von etwas Menschen Gemachtem gefällt, können wir es als Ausdruck der Brillanz des Lebens annehmen. Doch wenn uns das Ergebnis nicht gefällt, zumal, wenn es den Tod von Menschen zur Folge hat, dann gilt die Handlung als lebensverneinend. Und etwas Lebensverneinendes kann logischerweise nicht das Leben selbst sein. Wenn uns ihr Ergebnis also nicht gefällt, dann ist die Menschen gemachte Handlung auf einmal nicht mehr Ausdruck des Lebens.

Mich erinnert diese Haltung an frühere Zeiten, in denen man Raubtiere für böse hielt, statt anzuerkennen, dass sie sich allein gemäß ihrer Natur verhalten, wenn sie jagen und töten. Ebenso muss man schon ein wenig abrücken von den eigenen Vorlieben und Abneigungen und das Leben aus einer übergeordneten Perspektive betrachten, um anzuerkennen, dass es sich gemäß seiner eigenen Natur verhält. Nichts fehlt, nichts läuft jemals falsch, nichts ist mangelhaft. Das Leben ist ein Meisterwerk.

Und der freie Wille?

Aber wenn alles am Leben hängt, dann hab ich ja gar keine Einwirkungsmöglichkeiten! Was ist also mit dem freien Willen? Gegenfrage: Gibt es irgendetwas, das man vom Leben ausschließen könnte? Irgendetwas, das außerhalb des Gesamtphänomens „Leben“ steht? Allein die Formulierung, „wenn alles am Leben hängt, hab ich …“ zeigt, dass Mensch und Leben wieder voneinander getrennt werden. Aber eine solche Trennung existiert einfach nicht. Alles ist Leben, Dasein, Existenz.

Das bedeutet, dass auch der freie Wille dazugehört, er ist bereits in das Gesamtspiel mit ein kalkuliert. Das Leben spielt – mal heißt das Spiel „Freier Wille“, mal „Karma“ (oder, wenn man so will, „Schicksal“).

Freier Wille gehört zur Kreativität des Lebens dazu. Die Freiheit des Lebens ist unendlich, und jeder einzelne Mensch ist Ausdruck dieser Freiheit. Wie könnte er nicht frei sein? Allerdings ist er nicht frei, sich gegen das Leben zu richten, das heißt er ist nicht frei, etwas zu bewerkstelligen, das dem Leben nicht gemäß ist. Warum nicht? Weil er das Leben selber ist. Alles geschieht innerhalb des Gesamtphänomens, außerhalb gibt es nichts.

Das heißt aber nicht, dass ich, wenn mir etwas nicht gefällt, dazu verdammt bin, mich meditierend in eine einsame Höhle zurückzuziehen oder mich resigniert vor den Fernseher zu hängen. Wie gesagt, der freie Wille ist mit im Spiel des Lebens. Immer, wenn jemand sich gegen das wehrt, was er vorfindet, spielt das Leben „freier Wille“. Jeder Mensch ist anders, und so werden die einen eher dazu neigen, sich kämpferisch zu engagieren als die anderen. Aber egal, wer was tut, es findet nie außerhalb „des Lebens“ statt. Und bezogen auf den Gesamtplan ist das eine ebenso berechtigt wie das andere.

Beide Reaktionsmöglichkeiten, sowohl die des passiven Hinnehmens wie die des offensiven Aufbegehrens, können auch problematisch sein. Doch ein Problem entsteht nie für das Leben, sondern immer für den Einzelnen. Hier sind wir wieder einmal beim Stichwort Identifikation angelangt. Wer sich identifiziert, egal ob mit Widerstand oder mit Duldung, glaubt an seine Identität als separates Individuum und hat sich aus seinem Eingebundensein in das Gesamtwerk „Leben“ herausdefiniert. Er sieht sein Handeln nicht mehr als natürlichen Ausdruck seiner Individualität und damit des Lebens selbst.

Identifikation und Karma Yoga

Woran erkennt man, ob Identifikation hinter dem eigenen Handeln steht? Ganz einfach: Identifiziertes Handeln führt über kurz oder lang zu einem Gefühl von Unglück. Wenn das gewünschte Resultat nicht zustande kommt, kommt das Unglück sofort. Wenn das Resultat zustande kommt, kommt das Unglück ein bisschen später, nämlich dann, wenn man merkt, dass das Resultat entweder nicht wirklich das ist, was man wollte (1) oder wenn man es ursprünglich schon so wollte, aber nach einer Weile doch lieber etwas anderes (2) oder wenn das Resultat nicht bestehen bleibt (3). Eins von all dem wird auf jeden Fall passieren, (1), (2) oder (3). Warum? Weil das Leben so ist (Diese Aussage bitte nicht glauben, sondern überprüfen).

Und wie erkennt man Handeln ohne Identifikation? Es ist spielerisch – so spielerisch wie das Leben selbst. Das Handeln ist nicht auf ein bestimmtes Ergebnis fixiert, sondern mehr Selbstzweck. Im Advaita Vedanta nennt man dies Karma Yoga. Auszug aus Essay 6/2012:

Ausschlaggebend für Karma Yoga ist bei jeglichen Handlungen die folgende Haltung: Ich tue, was ich tun kann und weiß, dass das Ergebnis meiner Handlung nicht in meiner Hand liegt.1 Das heißt, dass ich zwar von meinen Handlungen überzeugt, aber nicht mit ihnen identifiziert bin.

Hierzu gehört im Vedanta notwendig das Göttliche. Das Göttliche ist nichts anderes als die Gesamtheit aller natürlichen Gesetze und Ordnungen und ihr nahtloses Ineinandergreifen. Man nennt es Ishvara. Karma Yoga bedeutet: Ich handle nach bestem Wissen und Gewissen und überlasse das, was dabei rauskommt, Ishvara.

Wenn mir klar ist, dass ich letztlich herzlich wenig in der Hand habe 2, dann verändert dies meine Haltung. Natürlich werde ich mir die Frage stellen, wie ich das Ergebnis, das ich mir wünsche, erziele und nach meinen Einsichten handeln. Aber wenn ich weiß, dass ich in Ishvara eingebunden bin 3, dann werde ich das Ganze spielerischer angehen. Auch wenn ich mir ein bestimmtes Ergebnis wünschen mag, weiß ich, dass mein Handeln nur ein Faktor im Spiel des Lebens ist.

Da diese Haltung auf einer tiefen Einsicht ins Sosein des Lebens basiert, entwickelt sie sich natürlich nicht über Nacht. Sie wächst mit dem Erkennen und Anerkennen der natürlichen Gegebenheiten. Dies müsste eigentlich ganz einfach sein, denn man muss ja nur hinschauen, um sie zu erkennen. So einfach ist es aber nicht, denn Denkgewohnheiten sind hartnäckig, auch wenn sie irrig sind. Im letzten Essay habe ich gezeigt, dass letztlich niemand getrennt vom Leben ist. Dies basiert nicht auf Glauben. Es basiert auf reiner Logik. Auch die obige Aussage „weil das Leben so ist“, ist kein Glaubenssatz.

Dennoch möchten viele lieber an ihren gewohnten Vorstellungen festhalten. Anzuerkennen, dass ich kein vom Ganzen getrenntes Wesen bin, erfordert die Bereitschaft, den Gedanken-Mainstream zu verlassen. Je mehr ich verankert bin in dem Wissen, dass ich das Leben selbst bin, desto mehr kann ich in jeder Situation mein Bestes geben und das Ergebnis dem großen Spiel des Lebens zu überlassen.

Humorvoll-intelligente  Inspiration zu diesem Thema: http://www.youtube.com/watch?v=7W33HRc1A6c

 

Fußnoten:

  1. siehe Essay 4/2012 Was ist das Richtige?
  2. siehe Essay 5/2012 Logisch und Psychologisch
  3. siehe Essay 1/2013 Selbsterforschung – das separate Ich hinterfragen