Die meisten spirituellen Sucher, egal ob im Westen oder im Osten, meditieren. Dadurch haben sich unendlich viele verschiedene Meditationen entwickelt: stille und bewegte, mit Gesang oder mit Gebet oder ohne, konzentriert oder um das Gegenteil von Konzentration bemüht. Auch im Advaita Vedanta spielt Meditation eine wichtige Rolle. Man unterscheidet zwei Formen: Meditation mit Objekt und Meditation ohne Objekt.

Meditation mit Objekt ist eine Übung zur Vorbereitung des Suchers auf den Weg der Erkenntnis. Die meisten Meditierer hier im Westen würden ihre eigene Meditationspraxis nicht als „Meditation mit Objekt“ bezeichnen. Doch selbst wer seine Gedanken nicht willentlich auf etwas ausrichtet – es liegt in der Natur der Gedankenwelt, sich auf etwas zu richten. Auch wer in der Meditation Stille erlebt oder Gedankenleere befindet sich in einer Subjekt-Objekt-Beziehung, er nimmt die Stille oder die Gedankenleere wahr. Grundsätzlich kann alles als Objekt dienen; ob eine Kerzenflamme oder eine weiße Wand zum Fokus der eigenen Aufmerksamkeit wird, ein Mantra oder der eigene Atem, Gedankenleere oder das Göttliche, Stille oder das Bild eines Erleuchteten macht keinen Unterschied. Sinn und Zweck dieser Form der Meditation ist es, den Mind (unseren Gedankenapparat) zu beruhigen. Und die meisten, die meditieren, stellen fest, dass es ganz gut funktioniert.

Der Grund, weshalb ein relativ ruhiger Mind der Suche nach der Erkenntnis der höchsten Wahrheit dient, liegt auf der Hand: Der Mind als Hauptinstrument auf diesem Weg sollte nicht ständig abgelenkt und auf Dinge gerichtet sein, die mit dieser Suche nichts zu tun haben.

Wir wollen erkennen, wer wir unabhängig von Körper und Persönlichkeit sind und arbeiten mit der Arbeitshypothese des Advaita Vedanta, die da lautet: Meine eigentliche wahre Natur ist nicht-dual, das heißt ich bin Sein – Bewusstsein – Grenzenlosigkeit. So etwas sprengt alle unsere Denkgewohnheiten, was bedeutet, dass der Mind außerordentlich wach und klar sein muss, damit er sich über seine Gewohnheiten hinwegsetzen kann. Deshalb gilt die Meditation mit Objekt als ein unentbehrliches Instrument, um Wachheit und Klarheit zu fördern.

Doch allein dadurch erlangen wir keine Erkenntnisse, niemand wird plötzlich von seinem Meditationskissen aufspringen, weil ihn aus heiterem Himmel die Erleuchtung überkommt. Dafür muss er mehr tun als still, andächtig oder konzentriert dazusitzen. Es wird ihm auch nichts helfen, die Frage „Wer bin ich?“ oder die Nicht-Dualität selbst zum Objekt seiner Meditation zu machen, denn so eine Meditation gehört natürlich ebenfalls in die Kategorie „Meditation mit Objekt“ und dient der Vorbereitung. Um über die Vorbereitung hinauszugehen, muss das Produkt der Vorbereitung – der stille, geklärte Mind – weiter geschult und gezielt eingesetzt werden.

Wenn ich herausfinden will, ob ich wirklich das eine alles durchdringende, alles umfassende grenzenlose Bewusstsein bin oder doch das, wofür ich mich normalerweise halte – ein Körper-Geist-System, verschieden von der mich umgebenden Welt – brauche ich einen scharfsinnigen Mind. Alle Instrumentarien des Advaita Vedanta sind dazu da, Unterscheidungsfähigkeit zu erzeugen und zu fördern – jedenfalls wenn sie von einem Lehrer gehandhabt werden, der ihre Wirksamkeit selbst erfahren hat. Mit einem solchermaßen unterscheidungsfähigen Mind ist es möglich, mich als das zu erkennen, was ich eigentlich bin und erst nach dieser Erkenntnis bin ich bereit für die zweite Form der Meditation. Jeder Versuch, vor dieser Erkenntnis nur noch auf die eigene nicht-duale Natur zu meditieren, ist bloße Selbsthypnose. Es ist einfach nicht möglich, solange man sich noch mit dem Körper oder Mind identifiziert und die eigentliche Natur nicht als Selbst erkannt hat.

Ohne Objekt zu meditieren, ist allein demjenigen möglich, der sich selbst erkannt hat – nicht nur als logische Einsicht, sondern als existentielles Wissen. Er ist zu seiner eigentlichen Natur erwacht. Nun kann man sich fragen: Wenn ich erwacht bin, ist der Weg doch zu Ende, warum soll ich dann noch meditieren?

Ja, in gewisser Weise ist der Weg zu Ende, über die eigene wahre Natur hinaus gibt es nichts mehr zu erkennen. Doch auch wer von sich behauptet zu wissen, was seine eigentliche Natur ist – ob er es wirklich weiß, steht hier nicht zur Debatte, denn nur er selbst und einer, der am Ende des Weges angelangt ist, kann das beurteilen – auch, wer also weiß, was er wirklich ist, wird feststellen, dass er sich immer wieder einmal in alte Denk- und Gefühlsmuster verwickelt. Selbst wenn es selten ist und nur kurzzeitig geschieht 1, befindet er sich dadurch in einem gespaltenen Zustand: Er weiß und er weiß nicht.

Der erwachte Mensch kann unterscheiden zwischen Wissen und Nicht-Wissen. Er glaubt seinen alten Identifikationen nicht mehr – aber manchmal eben doch …

Um diese letzte Gespaltenheit zu überwinden gibt es die Meditation ohne Objekt. Der Sucher weiß ja nun, wer er ist, er kennt das Subjekt nicht mehr nur als logische Schlussfolgerung oder als Arbeitshypothese, sondern als seine eigentliche Natur, als Selbst. Und er weiß, dass das Selbst Grenzenlosigkeit ist. Er ist nicht mehr in der Subjekt-Objekt-Realität zuhause, weil das einzig als absolut real Erkannte, das Selbst ist. Er weiß, dass alles, was als Objekt erscheint, nur relativ real ist.

Die objektlose Meditation heißt Nidhidyasana, sie begleitet den Sucher Tag und Nacht und beschreibt die letzte Phase auf dem Weg. Mit ihr kann die alte Ich-Identifikation restlos und endgültig im Selbst verlöschen.

Fußnote:

  1. Geschieht es häufig und anhaltend, dann ist das Erwachen noch nicht passiert.