Jeder menschliche Mind ist sein Leben lang damit beschäftigt, nach Lösungen zu suchen. Das Leben ist so vielfältig und vielschichtig und stellt einen vor eine unübersehbare Menge von Fragen, Aufgaben und Problemen. Und selbst wenn man ein Thema schon einmal gelöst hatte, ist diese Lösung zu einem späteren Zeitpunkt und in einem anderen Kontext oft nicht mehr zu gebrauchen, und man muss eine neue finden. Für manche Menschen fängt es schon mit der Frage an, ob sie überhaupt aufstehen sollen, für andere damit, was sie anziehen oder ob noch Zeit fürs Frühstück ist, dann folgen komplexere Aufgaben, „Wie bewältige ich das Pensum des heutigen Tages?“oder „Was sage ich zu Herrn X oder Frau Y, die ich heute treffe?“ Und so geht es bis zu dem Zeitpunkt weiter, wo man in den Schlaf eintaucht. Selbst da setzt sich das Spielchen noch auf der Traumebene fort, und erst in den Tiefschlafphasen findet man endlich die ersehnte Ruhe – bis es am nächsten Morgen wieder von vorne losgeht.

Süchte, gleich welcher Art, entstehen stets aufgrund dieser menschlichen Grundsituation: Der Mind versucht, dem ständigen Stress zu entkommen. Aber eine Sucht verursacht nur weitere Fragen, Aufgaben und Probleme. Am Beispiel vom Rauchen heißt das: Wo kriege ich Zigaretten her? Liegt dieser Husten am Rauchen? Müsste ich aufhören? Wie höre ich auf? Riechen meine Kleider und mein Atem nach Rauch? Wie überstehe ich die lange Bahnfahrt ohne eine Zigarette? Usw. usf., und alles, weil der Mind nur beim Rauchen in der Lage ist, sich zu entspannen. Dabei gilt, je besser ein Suchtmittel den Stress dämpfen kann, umso schlimmer sind die Probleme, wenn man das Suchtmittel nicht zur Verfügung hat.

Doch auch ohne das Extra-Problem Sucht ist die Lage angespannt genug. Wer trotzdem einigermaßen entspannt oder sogar frohen Mutes durchs Leben geht, hat vor allem eins: die richtige Einstellung. Er oder sie weiß: Das Leben ist nie perfekt, man ist nie fertig mit allen Problemen, es werden immer Fragen offen bleiben, und es werden immer Aufgaben auf eine Lösung warten. Nur wer mit dieser unveränderlichen Ausgangslage in Frieden ist, hat zumindest relativen Frieden gefunden – und das ist schon sehr, sehr viel!

Denn verschlimmern wird sich die ständige Anspannung in dem Maße, wie man meint, es gäbe tatsächlich perfekte Lösungen, man müsse sie nur finden bzw. jemanden finden, der einen damit versorgt. Diese Vorstellung ist dermaßen an der Realität vorbei, dass man stets und ständig an all den vielen offenen Fragen, die das Leben stellt, verzweifeln wird.

In der Terminologie des Advaita Vedanta ist ein Mind mit dieser Einstellung beherrscht von raga/dvesha, also dem „Ich will unbedingt“ und dem „Ich will auf keinen Fall“, was ich im Essay 9-2017 (Buddhi-Fitness-Training) beschrieben habe. Raga und dvesha sind emotionale Impulse, die einem das Leben zur Hölle machen können, da das Leben nun einmal seinen eigenen Gesetzen folgt. Das Leben ist und bleibt unperfekt, so ist es eingerichtet. Jeder, der versucht, sich und anderen zu beweisen, dass das nicht so ist, muss am Ende kapitulieren. Und je eher er kapituliert, desto besser.

Ein Wahrheitssucher hat kapituliert, was das Leben angeht. Das ist weder Versagen noch Resignation, sondern die einzig intelligente Lösung. Und nur in dem Maße, wie jemand in Frieden kapituliert hat, nur in dem Maße, kann die Wahrheitssuche erfolgreich sein. Warum? Weil man Frieden und Freiheit nicht mehr in der Vielfalt, sucht, also in vyavahara1. Auf dieser Ebene sind sie nicht zu finden. Aber glücklicherweise ist das nicht die einzige Ebene, die es gibt, ja, mehr noch: Vyavahara ist letztlich nicht einmal real2. Letztlich real ist nur paramartha3.

Auf  die Welt und sich selbst aus der paramarthika Perspektive zu schauen, ist die einzig nachhaltige Lösung. Tatsächlich ist dies die einzige Lösung, die man wirklich suchen sollte, weil sie all die vielen anderen Fragen, Aufgaben und Probleme relativiert. Sie werden sich nicht in Luft auflösen, aber sie verlieren ihr Gewicht, wenn man weiß, dass es um sie nicht geht. Und: wenn man sich auf den Weg macht, um sich um das zu kümmern, worum es geht.

Die Vielfalt bietet keine nachhaltigen Lösungen, weil die Lösung darin liegt zu erkennen, dass das, was wirklich ist, die Einheit ist. Und da es eins ist, muss es dasselbe sein wie Welt, Gott und die eigene Person – auch wenn dies als dreierlei erscheint. Nur die Erkenntnis der Einheit bringt Frieden, nur sie macht frei.

Wie erkennt man sie? Indem man sich auf den Erkenntnisweg begibt. Und da kenne ich nur einen: Advaita Vedanta – das, worauf all diese Essays basieren. Egal, in welches Essay Sie hineinschauen: Sie werden Hinweise darauf finden. Diese Hinweise sind nicht die Lehre an sich, aber sie sind der Anfang einer neuen Perspektive, die die Lösung bringt.4

Fußnoten:

  1. Siehe die Essays 1-2012, Unterscheiden, und 5-2015, Freier Wille
  2. Es ist mithya, Siehe die Essays 9-2012, Ist die Welt eine Illusion?, und 5-2015, Freier Wille.
  3. Es ist satya.
  4. Natürlich bin ich nicht die einzige, die Advaita Vedanta lehrt; ich folge nur der Lehrtradition und adaptiere sie für deutschsprachige westliche Sucher. Es gibt andere Advaita Vedanta Lehrer auf der Welt, die allerdings nicht auf Deutsch sondern meist auf Englisch lehren oder natürlich in indischen Sprachen. Wer Hinweise dazu haben möchte, kann sich gerne per Email/Telefon an mich wenden.