Teil 2

Im ersten Teil dieses Essays sind wir bis zur 4. Strategie, Lernen, gekommen, die eindeutig die beste ist, um Situationen des Nicht-Wissens zu bewältigen. Sie entspricht Sattvaguna. 1 Hier noch mal die 4 Strategien:

Strategie Nr. 1: Verdrängen

Strategie Nr. 2: Beschuldigen

Strategie Nr. 3: Aushalten

Strategie Nr. 4: Lernen

Hinsichtlich Strategie Nr. 4, der sattvischen Haltung, gibt es zwei Möglichkeiten:

  1. Lernen mit einem geklärten Mind (chitta shuddhi)
  2. Lernen mit einem ungeklärten Mind

Lernen mit einem geklärten Mind bedeutet:

Der Mind ist sattvisch. D.h. er ist relativ frei von raga/dvesha 2; Dharma ist der höchste Wert, an dem sich der Mensch orientiert. Sein Vorgehen ist sattvisch und auch das Ergebnis eines solchen Lernprozesses wird sattvisch sein.

Lernen mit einem ungeklärten Mind bedeutet dagegen, der Mind ist rajasisch oder tamasisch, meist beides im Wechsel. D.h. er ist dominiert von raga/dvesha 3 und die höchsten Werte sind artha 4 und/oder kama 5 . Nicht nur Denken und Fühlen, sondern auch das Ergebnis eines solchen Lernprozesses wird rajasisch oder tamasisch sein.

Das heißt, auch die dritte Strategie, Lernen, in Kombination mit einem ungeklärten Mind, wird entweder auf Verdrängung oder auf Beschuldigung hinauslaufen und im Ergebnis allerhöchstens einem selbst, nicht jedoch auch denen nützen, die sich außerhalb des eigenen Umfelds befinden.

Nur Lernen in Kombination mit einem geklärten Mind wird auch zu sattvischen Ergebnissen führen, die allen dienen.

Lernen an sich ist sattvisch. Dennoch wird das sattvische Element von einem ungeklärten Mind unterlaufen. Weil der Mind durch rajas und/oder tamas getrübt ist, ist das Ergebnis eines solchen Lernprozesses nicht sattvisch, sondern rajasisch oder tamasisch Spielen wir das mal durch.

Wie läuft Lernen mit einem durch Tamas beeinträchtigten Mind ab? Ein solcher Mind ist bequem, er sucht den einfachsten Weg und denkt Sachverhalte nicht zu Ende durch. Ziel jedes Lernprozesses ist normalerweise besseres Verstehen. Aber ein tamasischer Mind will Dinge nicht verstehen, sondern will einfache Einordnungen, die ihm das Gefühl geben, er könne nun in Ruhe so weiter denken und handeln wie bisher. Alles, was darüber hinausgeht, wird möglichst ignoriert. So etwas nennt man Verdrängung.

Und wie läuft Lernen mit einem durch rajas beeinträchtigten Mind ab? Rajas macht den Mind hitzig, er sucht sich Inhalte heraus, die ihn aufregen und die er meint, bekämpfen zu müssen. Im Gegensatz zum Tamas-beeinflussten Mind, will er sich auf keinen Fall beruhigen. Aber das macht seinen Verständnisprozess nicht besser, denn seine Wahrnehmung ist selektiv. Er pickt sich das heraus, was ihm problematisch erscheint, was sein Eingreifen verlangt, denn nicht Denken ist sein Fokus, sondern handeln. Daher denkt er Dinge nicht zu Ende – nicht, weil er das nicht könnte, sondern weil er voreilig Schlüsse zieht oder sogleich zur Tat schreitet, bevor sein Denkprozess ein solides Ergebnis geliefert hat.

Ein ungeklärter Mind ist dominiert von den zwei Zielen artha, Sicherheit, oder kama, Wohlbefinden 6. Dies sind Ziele, die sich allein aufs persönliche Wohlergehen beziehen – allerhöchstens noch den nächsten Umkreis, in dem man sich bewegt. Jegliches Lernen dreht sich um die Frage „Wie kann ich mich noch mehr absichern?“ oder „Wie kann ich mein Wohlergehen verbessern?“. Aus einer solchen Motivation erwächst nur zufälligerweise ein Ergebnis, das allen dient.

Ein allen dienendes Lern-Ergebnis ist sattvisch, und ein sattvisches Ergebnis ist im Einklang mit dharma purushartha 7 . Dharma ist das, was alles trägt, es ist der ewige Wert, der darauf beruht, dass man jeden so behandelt, wie man selbst behandelt werden möchte oder, noch besser, auf jeden so schaut, wie man sich wünscht, dass andere auf einen selbst schauen – und dann erst handelt.

Ein ungeklärter Mind ist dazu nicht in der Lage. Neigt er eher zu tamas, ist es ihm zu anstrengend, sich darüber Gedanken zu machen, ob und wie er seine Haltung anderen gegenüber dharmisch gestalten könnte. Neigt er zu rajas, ist er zu ungeduldig, tatsächlich will er andere gar nicht berücksichtigen. Er hat seine Urteile ohnehin alle schon gefällt, und sie noch einmal zu überdenken, kostet ihn viel zu viel Zeit.

Da niemand von uns perfekt ist, kennen wir sowohl hinsichtlich der Pandemie, wie auch hinsichtlich der Frage „Wer bin ich?“ alle beschriebenen Strategien – vom Versuch, das Thema zu ignorieren, über den Versuch, irgendwem anders oder den Umständen die Schuld für eine unklare Situation zuzuweisen bis hin zu einem relativ ausgewogenen Umgang damit. Inwieweit wir schon bei der sattvischen Antwort angekommen sind, noch dazu bei der besseren Variante mit dem geklärten Mind, wird uns vielleicht durch das Lesen dieses Essays klar.

Bezogen auf den weltumspannenden gigantischen Lernprozess, in dem wir uns alle befinden, bedeutet dies: Konstruktive Lösungen, die allen zugute kommen, können nur von denen entwickelt werden,

  1. die anerkennen, dass ihr Wissen begrenzt ist
  2. die anerkennen, dass das Wissen aller anderen ebenfalls begrenzt ist
  3. die bereit sind, die Grenzen ihres Wissens zu erweitern und von denen zu lernen, die mehr Wissen haben
  4. die bereit sind, die Tatsache anzuerkennen, dass andere vielleicht nicht bereit oder in der Lage sind zu lernen
  5. die vorwiegend sattvisch sind (statt dominiert von rajas bzw. tamas)
  6. die daher einen geklärten Mind haben (statt von raga/dvesha dominiert zu sein) 8 
  7. deren Ausrichtung daher dharmisch ist.

Das sind ganz schön viele Voraussetzungen, und wir können von Glück sagen, wenn sich genügend Menschen finden, die sie in sich vereinen. Wie viel „genügend Menschen“ sind, und wie viel Prozent sie jeweils von diesen 7 Eigenschaften haben müssen, das werden wir sehen. Dennoch darf kein einziger dieser Punkte fehlen, wenn die Lösung am Ende wirklich gut sein soll.

Und mit der Wahrheitssuche verhält es sich tatsächlich ganz genauso: Wer die Wahrheit finden und frei sein will, d.h. wer erkennen will, was er/sie in Wahrheit ist, und die Früchte dieser Erkenntnis in vollem Umfang genießen will, der muss genau diese 7 Eigenschaften entwickeln. Und wer Glück hat, bringt sie vielleicht schon mit.

Dies ist eine Seite für Wahrheitssucher. Daher lohnt es sich zu untersuchen, wie der/die Wahrheitssucherin den gegenwärtigen gigantischen Lernprozess nutzen kann. Welche wertvollen Lernschritte werden durch die gegenwärtige Situation möglich?

Ich zähle mal vier Chancen auf:

  • das Karma-Gesetz besser verstehen lernen und dadurch entspannter durch diese Zeit gehen
  • Dharma besser verstehen lernen und dadurch mit mehr Würde und Selbstbestimmung durch diese Zeit gehen
  • Hingabe – und mit ihr glücklicher und erfüllter durch diese Zeit gehen
  • Ankommen im Freien Fall

Ich habe vor, zu dem einen oder anderen weitere Essays zu schreiben, doch bis dahin widmet euch doch den folgenden, welche die Themen dieses Essays aufgreifen: Essay: Erfüllung finden, Essay: Vertrauen und Essay: Frei Sein!

Fußnoten:

  1. Essay: Gewebe der Schöpfung.
  2. Essay: Buddhi-Fitness-Training und Essay: Die Quelle der Freude.
  3. „Ich will unbedingt“/“Ich will auf keinen Fall“.
  4. Sicherheit
  5. Wohlbefinden
  6. Essay: Was ist das Richtige?
  7. Essay: Das, was trägt
  8. Essay: Buddhi-Fitness-Training und Essay: Die Quelle der Freude