In der letzten Zeit habe ich nur wenige Essays geschrieben, weil das meiste bereits in den vorhandenen Essays gesagt wurde. Da die Essays Inspirationen sind, die helfen sollen, Paradigmenwechsel zu vollziehen, eignen sie sich sehr gut für die, die das Vedanta nicht kennen. Wer dann mit diesen Paradigmenwechseln weitergehen möchte, ist eingeladen, in das eigentliche Teaching einzusteigen. Weiterhin kann und wird er die Essays nutzen, aber sie können das Teaching nicht ersetzen. Und so habe ich in letzter Zeit meine Energie mehr und mehr in die Arbeit mit meinen Schülern gesteckt und weniger ins Schreiben. Wer sich für Vedanta interessiert, findet auf dieser Seite ohnehin schon jede Menge Anregungen und kann mich obendrein jederzeit kontaktieren.

Durch die gegenwärtige Epidemie haben sich die Vorzeichen für so gut wie alles auf diesem Planeten radikal verändert, und so macht es wieder Sinn zu schreiben. Die Themen, die durch das Virus entstehen, sind nicht wirklich neu, aber es lohnt sich, aus der Perspektive des Vedanta einen Blick auf die veränderte Situation zu werfen.

Beginnen muss man damit, wie sich viele in der Betrachtung des Weltgeschehens im Jahr 2019 gefühlt haben. Immer deutlicher wurde der Schmerz über die Unmöglichkeit, all die offenbar werdenden Missstände noch zu korrigieren, die sich seit Jahrzehnten angebahnt haben. Dazu kam die weitgehende Lethargie vieler, wobei sie insbesondere bei denen bedauerlich ist, die vielleicht die Macht hätten, eine Korrektur in die Wege zu leiten.

Aber neben all den Lethargikern gab es auch eine große Anzahl von relativ ohnmächtigen Menschen mit dem dringenden Wunsch, dass der irrsinnige Strudel gestoppt werde, dessen Auswirkungen wir das ganze letzte Jahr mitansehen mussten. Und nun kommt so ein kleines unschuldiges Virus daher, und tut genau das: Es stoppt den Lauf der Welt oder bremst ihn zumindest rigoros aus.

So ist die Lage. Was ist die Advaita Vedanta-Perspektive dazu?

Wie die meisten wissen, arbeitet Vedanta auf unterschiedlichen Ebenen, was bedeutet, dass die Vedanta-Perspektive unterschiedlich ist, je nach dem Erkenntnisstand dessen, der fragt. Denn denen, die sich noch am Anfang des Erkenntnisweges befinden, hilft etwas anderes als denen, die die Erkenntnis schon haben.

Und gleich zu der Frage: Brauchen letztere überhaupt noch Hilfe?! Auch hier gilt: Je nachdem, wie lange sie die Erkenntnis schon haben und wie reif ihre Persönlichkeit ist, brauchen sie mehr oder weniger Hilfe. Allerdings nie im selben Ausmaß wie diejenigen ohne Erkenntnis.

Für jeden gilt: Das, was wir in dieser Situation brauchen ist Vertrauen – auf Sanskrit shraddha – gepaart mit Unterscheidungsfähigkeit – auf Sanskrit viveka. Und wer beides hat, ist automatisch heiter und gelassen, während er wach und klug die sich ihm präsentierenden Situationen handhabt. Egal, welche Reaktion unser emotionaler Mind uns serviert: Vertrauen wird alle Varianten entschärfen. Deswegen geht es heute erst einmal um Vertrauen.

Hier soll eine mehrteilige Serie zu Vedanta 2020 entstehen, die aktuelle Entwicklungen berücksichtigt und möglichst jeden Sucher dort abholt, wo er/sie gerade steht. Dabei kann es sein, dass die Anfänger irgendwann merken „Naja, das ist zwar eine schöne Aussicht, aber für mich definitiv Zukunftsmusik“. Das macht nichts, denn eine schöne Aussicht ist immer noch schön und motiviert, weiterzugehen. Und die mit der Erkenntnis sind ohnehin in der Lage, jede Anregung aufzunehmen und auf ihre Situation zu übertragen.

Vertrauen – Shraddha

Aus fast allen bisherigen Reaktionen auf die momentane Lage, die ich von meinen Schülern und von Freunden bekommen habe, spricht shraddha. Kaum einer hadert mit der gegenwärtigen Situation und verfällt in angstgetriebenen Überlebenskampf, kaum einer ergibt sich ihr resignativ und verfällt in Depression. Vielmehr ist das, was sich in den meisten Mails und Gesprächen zeigt, ein tiefes Einverstandensein, eine unmittelbare Einsicht, dass die Situation genau so ist, wie sie jetzt nötig ist – selbst wenn sich auf der Persönlichkeitsebene emotionale Wellen durchs eigene System schwappen mögen.

Weltweit gibt es noch eine dritte Reaktion auf die Verbreitung des Virus: die Verleugnung –  die sich oft in einem schon vorher vorhandenen Hang zu Verschwörungstheorien bemerkbar macht. Der Grund besteht darin, dass man unbedingt einen Schuldigen braucht, über den man sich dann aufregen kann. Allerdings nimmt diese Reaktion von Tag zu Tag ab, auch bei denen, die bisher in einer Nische leben, die relativ unberührt von den Auswirkungen des Virus ist. So wie Corona im für uns fernen China begonnen hat, zum relativ nahen Italien fortschritt und nun im eigenen Land oder Bundesland oder Stadt oder Dorf oder Haus angelangt ist, werden die Nischen seltener. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis jeder den Tatsachen ins Auge blicken wird.

Und dann kommt es ganz drauf an – denn man braucht eine relativ reife Persönlichkeit, um die Tatsachen weder zu verleugnen, noch in panische Vorsorge-Aktionen zu verfallen, noch depressiv zu werden. Diejenigen, von denen ich die oben erwähnten Rückmeldungen bekommen habe, haben Vertrauen und haben eine Persönlichkeit entwickelt, die dieses Vertrauen möglich macht. Aber wenn man sie noch nicht hat, wie erlangt man sie? Die gute Nachricht ist, es ist möglich. Die weniger gute Nachricht: nicht über Nacht. Aber wer gar nicht erst anfängt, sich damit zu befassen, der wird die Persönlichkeit auf keinen Fall entwickeln.

Ich möchte hier auf einige Essays verweisen, die u.a. auch praktische Tipps geben. Man muss sich allerdings eingehend mit den Essays befassen und die Tipps anwenden – und zwar so lange bis sie Früchte tragen. Ich empfehle auch denen, die sie schon mehrmals gelesen haben, sie jetzt noch einmal durchzugehen. Jedenfalls dann, wenn das eigene Vertrauen in der gegenwärtigen Lage erschütterbar ist.

Viele Essays sprechen von den Eigenschaften, über die man verfügen sollte, um den Weg der Erkenntnis zu gehen: Gleichmut, Unterscheidungsfähigkeit, Frustrationstoleranz, die Bereitschaft, Überflüssiges loszulassen, Vertrauen und noch einige andere. All diese Eigenschaften sind dazu da, eine reife Persönlichkeit zu entwickeln, die einem in jedem Bereich zugute kommt, nicht nur bei der Suche nach der Selbsterkenntnis.

Eine reife Persönlichkeit ist bereit, Tatsachen als Tatsachen anzuerkennen, auch wenn sie unbequem sind: Das Virus ist da. Viele Veränderungen ergeben sich daraus. Niemand weiß, wie es weitergeht. Es gibt wenig Aussicht auf eine Rückkehr zu den bisherigen Verhältnissen.

Bei all dem, bleibt die reife Persönlichkeit sich auch klar über die angenehmen Tatsachen: Ich bin hier. Die Sonne scheint. Ich habe Ressourcen, innere und/oder äußere. Die Magnolie blüht.

Wie gelingt einem eine solche Haltung? Sie gelingt, wenn einen die eigenen Vorlieben (raga) und Abneigungen (dvesha) nicht mehr vor sich hertreiben. Hier sind drei Essays dazu:

9-17 Buddhi-Fitness-Training

09-18 Hingabe und Logik

05-18 Wo ist die Lösung?

Um nicht getrieben von den eigenen Vorlieben und Abneigungen zu sein, braucht man wiederum vor allem eins: Vertrauen – womit wir wieder bei Shraddha wären. Auch hierzu einige Essays:

10-14 Loslassen und Kontrolle

12-14 Vertrauen

2-15 Das größere Ganze

Ich hoffe, dass besonders die, die jetzt eine Zwangspause in ihrem Leben einlegen müssen, das Thema Vertrauen und das, was dazu notwendig ist, in den Fokus ihrer Aufmerksamkeit rücken werden. Die aufgezählten Essays sollen dabei helfen. Wer Fragen oder Anmerkungen zu dem Thema bzgl. der gegenwärtigen Situation hat, kann mir gerne eine Mail schicken. Ich werde hier darauf eingehen, und das Thema Vertrauen kann sich dadurch noch um Vieles vertiefen.

Ansonsten geht es demnächst weiter mit dem Thema Unterscheidungsfähigkeit – Viveka, warum sie zwingend notwendig ist, wie man sie entwickelt und was man überhaupt von was unterscheiden soll.

Aus Shraddha und Viveka, gepaart mit dem Teaching, entwickelt sich automatisch die Erkenntnis. Und wie es für die aussieht, die sie bereits haben, wird ebenfalls einen Platz in dieser Serie bekommen.