Thema des vorigen und dieses Monats sind zwei Grundhaltungen, die vieles im Leben erschweren – auch die Suche nach der Wahrheit. Jeder Mensch neigt entweder eher zur einen oder zur anderen Grundhaltung. Die aus ihnen erwachsenden Typen nenne ich „Loslasser“ und „Kontrolleur“. Selbstverständlich gibt es den reinen Loslasser ebenso wenig wie den reinen Kontrolleur, aber wer sich ein bisschen kennt, wird wissen, zu welcher Gruppe er gehört.

Die meisten Menschen scheinen eher zur Gruppe der Kontrolleure zu gehören. Daher werden viele Leser dieser Essays das Loslassen positiv bewerten. Aber so einfach ist es nicht. Wovon ich hier spreche, sind Fixierungen. Fixierungen sind Identifikationen mit etwas, das man nicht ist. Also steht beides gleichermaßen der Erkenntnis dessen, was man ist, im Weg. Beides mal handelt es sich um hinderliche Denk- und Verhaltensmuster, und interessanterweise braucht der Loslasser mehr Kontrolle, während der Kontrolleur mehr Loslassen braucht. Wer sich von diesen beiden Fixierungen befreien kann, der kommt weiter und hat obendrein mehr Freude im Leben.

 

Der Kontrolleur

Wie im September ausgeführt, ist Kontrolle nützlich und erfüllt eine wichtige Funktion – generell und auf dem spirituellen Weg. Ganz besonders nützlich ist Kontrolle für alle zwanghaften„Loslasser“, um die es letzten Monat ging – also diejenigen, die auch dann schon loslassen, wenn es noch gar nichts zum Loslassen gibt. Bei denjenigen, deren Fixierung das Kontrollieren ist, ist Kontrolle allerdings ein Problem.

Der Kontrolleur handelt aus Angst. Letztlich steht hinter jeder Angst die Angst, nicht zu überleben. Der Kontrolleur ist daher ständig mit der unerfüllbaren Aufgabe beschäftigt, die Zukunft in den Griff zu bekommen. Mit seinen absichernden Maßnahmen will er sämtliche Risiken ausschalten – was nicht gelingen kann. Und da sein Leben darin besteht, sich um etwas zu bemühen, was nicht gelingen kann, ist sein Leben anstrengend.

Die Kontrolle kann unterschiedliche Ursachen und Ausdrucksformen haben:

  1. Angst und Panikgefühle: Wie soll ich es bloß schaffen hier zu überleben?
  1. Kampf, Willenseinsatz und Entschlossenheit: Egal wie, ich setz mich durch!
  1. Minderwertigkeitsgefühle: Wenn ich doch nur in der Lage wäre, das zu erreichen, was ich erreichen möchte!
  1. Kritik und Selbstkritik: Ich gebe mein Bestes, aber es ist eine Sisyphos-Arbeit, das Leben in den Griff zu kriegen.

 

Kontrolleur Nr. 1

Wenn Angst und Panik im Vordergrund stehen, dann wirkt der Kontrolleur gar nicht wie ein Kontrolleur. Er verkriecht sich, wenn möglich, und traut sich nichts zu. Er wirkt nicht wie ein Kontrolleur, weil er sich von der schieren Menge all dessen, was er meint, kontrollieren zu müssen, erschlagen fühlt. Aber er geht definitiv davon aus, dass Kontrolle der einzige Weg ist, der ihn weiterführen würde – wenn er nur besser darin wäre.

Dieser angstgetriebene Kontrolleur braucht vor allem eins: Entspannung. Und wie entsteht diese Entspannung? Er muss seinen Fokus abziehen, von allem, was evtl. danebengehen könnte und hin zu dem, was hier und jetzt in Ordnung ist. Immer wieder. Als Meditation, die ihn Tag und Nacht begleitet. So lange, bis sich die Angstfixierung legt.

 

Kontrolleur Nr. 2

Wenn Kampf im Vordergrund steht, dann bemerkt die Umwelt sein Streben, alles zu kontrollieren schon eher. Aber für andere ebenfalls offensichtlich ist die Tatsache, dass er durch seine Streitbarkeit genau die Probleme verursacht, die er  – meist vergeblich – versucht, in den Griff zu kriegen.

Der kampfgetriebene Kontrolleur steht immer unter Strom, weil er in seinem eigenen Kung-Fu-Film lebt. Er braucht vor allem eine aufmerksamere Wahrnehmung seiner gegenwärtigen Situation und Umgebung. Er fühlt sich nicht so schwach wie der angstgetriebene Kontrolleur, aber er nimmt, wie dieser, die Gegenwart nicht wirklich wahr. Wenn er vor etwas steht, das er als Problem empfindet, muss er tief durchatmen und die Situation erst einmal in Augenschein nehmen statt sofort in Aktion zu treten. Also Scheuklappen ab! Auch dies ist eine Meditation, die ihn Tag und Nacht begleiten muss. Sie wird das Kampfmuster außer Kraft setzen, aber nur, wenn man beharrlich dranbleibt – ganz besonders in allen Situationen, wenn Durchatmen das letzte ist, was dieser Kontrolleur für angebracht hält.

 

Kontrolleur Nr. 3

Der Kontrolleur, bei dem Minderwertigkeitsgefühle im Vordergrund stehen, fühlt sich ähnlich wie der angstgetriebene, denn er zweifelt wie dieser seiner Fähigkeit, das Leben in den Griff zu kriegen. Aber er versucht es immer wieder, manchmal sogar dann, wenn jeder andere erkennt, dass die Situation gar nicht in den Griff zu bekommen ist.

Der von Selbstzweifeln getriebene Kontrolleur fühlt sich weniger verängstigt als der angstgetriebene und weniger streitbar als der kampfgetriebene. Dennoch wirkt er auf andere manchmal ähnlich wie diese beiden. Kontrolleur Nr. 3 wünscht sich sehnlichst, dass alles gut wird, er hat positive Ziele und deshalb auch oft eine positive Ausstrahlung.  Wenn sich allerdings herausstellt, dass das Leben doch nicht so schön ist, wie er es gerne hätte und dass seine Ziele nicht zu verwirklichen sind, dann hat er zweierlei Antworten: Entweder er sackt in sich zusammen und seine oftmals sonnige Natur verkehrt sich augenblicklich in schwärzeste Nacht. Oder er reagiert wütend, entrüstet oder zumindest äußerst verstimmt.

Dieser Kontrolleur braucht vor allem ein besseres Selbstwertgefühl, damit Gegenwind ihn nicht so aus der Bahnwirft. Wie bekommt er ein besseres Selbstwertgefühl? Sein Augenmerk muss sich ebenfalls in die Gegenwart hinein verlagern, doch sein Fokus sollte auf Selbstbestätigung liegen: Immer wenn er etwas gut macht, sich innerlich auf die Schulter klopfen, alles, unter dem Gesichtspunkt betrachten, was gerade genau so ist, wie er es gerne hätte und sich dazu gratulieren, wie er das so genial hingekriegt hat. Das Motto lautet: Sei „amerikanisch“ mit Dir selbst, also: „Du kriegst das hin!“, „Keine Sorge!“ „Wäre doch gelacht!“ „Du bist großartig!“, Auch diese Gegenmaßnahme greift nur, wenn man dranbleibt. Derartige Blockaden sind oft so alt wie man selbst und man braucht Ausdauer, um sie vollkommen zu beseitigen.

 

Es gibt eine Methode, die sie rasch außer Kraft setzt, und ich arbeite seit vielen Jahren mit dieser Methode. Aber ich schreibe hier für all diejenigen, die sich selbständig um ihre Weiterentwicklung kümmern möchten. Die für die Kontrolleure und Loslasser empfohlenen Maßnahmen mögen im Vergleich zu aufwendigen psychotherapeutischen oder Coaching-Verfahren allzu einfach erscheinen. Wer sie jedoch wirklich zu seinem Programm macht, der wird mit ihnen Erfolg haben.1

Kontrolleur Nr. 4

Wenn Kritik und Selbstkritik im Vordergrund stehen, dann kann die Kontrolle als solche sehr nützlich sein. Das Problem ist, dass sie zum Selbstläufer geworden ist. Wer Situationen vor allem unter dem Gesichtspunkt betrachtet, wie sie verbessert werden müssten, der macht sich und anderen das Leben schwer – selbst wenn seine Kritikpunkte den Nagel auf den Kopf treffen. Dieser Kontrolleur fühlt sich belastet von den vielen Dingen, die er glaubt, verbessern zu müssen – vor allem, weil er davon überzeugt ist, dass er es alleine machen muss, da die anderen es entweder nicht können oder man es ihnen nicht zumuten kann. Kontrolleur Nr. 4 ist daher oft sehr einsam. Er will für  alle nur das Beste, aber die anderen fühlen sich gegängelt, gemaßregelt und verurteilt. Das Schlimme ist, dass dieser Kontrolleur sich selbst ebenfalls gängelt, maßregelt und verurteilt. Er schlägt sich tapfer durchs Leben, aber schafft es viel zu selten, darauf zu vertrauen, dass auch das Unvollkommene vollkommen in Ordnung ist.

Dieser Kontrolleur braucht vor allem den Blick aufs Positive. Für ihn gilt die Geschichte vom halbleeren oder halbvollen Glas. Es ist dasselbe Glas mit derselben Menge an Flüssigkeit. Ebenso kann man in allen Situationen den Fokus entweder auf dem haben, was fehlerhaft ist oder auf dem, was wunderbar und schön ist. Kontrolleur Nr. 4 braucht seinen Fokus auf dem, was gut ist. Alles andere kommt später. Der Fokus auf dem Guten und Schönen verändert auch sein Selbstbild hin zum Guten und Schönen, und wer in einer Welt lebt, die er als gut und schön wahrnimmt, dem geht es selbst besser und dem öffnen sich auch andere Menschen gerne. Das ganze Leben wird angenehmer und leichter.

 

Alle vier Kontrolleure werden ihre Vorbehalte haben gegen die ihnen verordnete Maßnahme, denn diese Maßnahmen verlangen ihnen immer ein gewisses Loslassen ab, und allem Loslassen stehen sie per se skeptisch gegenüber. Doch ich kann nur versichern, dass sich ihr Leben und ihr spiritueller Weg durch sie verbessern werden – und keineswegs verschlechtern, wie sie vielleicht zunächst annehmen könnten.

 

Sowohl bei der Fixierung aufs Kontrollieren wie bei der aufs Loslassen handelt es sich um Identifikationen. Daher verweise ich hier noch einmal auf das August Essay mit dem Satz:

„Identifizieren tut man sich immer nur mit etwas, das man nicht wirklich ist.“

Das bedeutet, dass die Überwindung der genannten Fixierungen kein Selbstzweck ist. Sie macht das Leben fraglos angenehmer, ihr eigentlicher Wert zeigt sich jedoch dann, wenn sich durch den Fortfall der Identifizierungen das offenbart, was jenseits von Identifikation ist: das wahre Selbst.

 

Hier einige links zu Essays, in denen es um das Thema Kontrolle und die Überwindung der Fixierung auf Kontrolle geht:

 

Logisch und Psychologisch

Gott ?

Selbsterforschung – das separate Ich hinterfragen

Das große Spiel des Lebens

Erfahrungen der Nicht-Dualität

Eins mit Allem?

Dankbarkeit, Glück und Glückseligkeit

 

Und in Ergänzung zum letzten Essay, hier auch einige Links, die helfen können, die Fixierung aufs Loslassen zu überwinden:

 

Was kann ich tun?

Die Wahrheitssuche und die Zeit

Auf der Suche

Gelassenheit

Frustrationstoleranz

Prioritäten

Loslassen

Fußnote:

  1. Sollte jemand nicht genau wissen, zu welcher Sorte Kontrolleur er gehört und welche der Gegenmaßnahmen greifen würde, bin ich gerne bereit, in einem kurzen Gespräch oder Email-Austausch behilflich zu sein. Natürlich unentgeltlich.