Adhikāritvam bedeutet Eignung, Befähigung, Berechtigung, Befugnis, berechtigter Anspruch. Ein adhikāri ist jemand, der über all dies verfügt – also die Eignung zum Vedanta-Studium hat.

Viele spirituelle Richtungen werben um Menschen, sich ihrem Weg anzuschließen. Advaita Vedānta ist jedoch nur für wenige da, und jeder Vedānta-Lehrer weiß darum. Er/sie mag Leute über Vedānta informieren, die davon noch nie gehört haben oder sich nicht wirklich etwas darunter vorstellen können, aber so etwas wie Missionierung hat im Advaita Vedānta überhaupt keinen Platz. Die, die dafür bereit sind, werden, wenn sie davon hören, schnell Feuer fangen und sich dafür einsetzen, tiefer einzusteigen. Für andere ist und bleibt es uninteressant, und das ist völlig in Ordnung so.

Die, die sich dafür interessieren, haben zumindest ein Quäntchen adhikāritvam. Und dieses Quäntchen wird wachsen, abhängig von dem Einsatz und den Lebensumständen des Schülers. Die Lebensumstände wiederum sind abhängig von seinem Karma. Hieß es eben des „Schülers“? Ja, denn jetzt sind wir schon bei der guru śāstra upadeśa, dem unentbehrlichen Zusammenspiel von Guru und śāstra – das aus einem bloßen Vedānta-Interessenten einen Lernenden macht, der bereit ist, Advaita Vedānta von einem Guru zu lernen.

Was hat adhikāritvam mit der guru śāstra upadeśa zu tun? Sehr viel, denn der Guru ist angewiesen, das Vedānta-Teaching nur einem adhikāri anzubieten. Früher musste der Interessent oft monate- oder jahrelang alle möglichen anderen Dienste leisten – eben solange, bis der Guru davon überzeugt war, dass der Anwärter sein adhikāritvam genügend unter Beweis gestellt hat und wirklich am Advaita Vedānta interessiert ist.

Der Anwärter selbst mag sich durchaus für einen adhikāri halten, doch hier kommt es auf den Lehrer an. Denn wie kann jemand, der noch gar nicht weiß, was genau für das Studium ausschlaggebend ist, beurteilen, ob er/sie tatsächlich die notwendigen Voraussetzungen dafür mitbringt?

 

Was sind das nun für Voraussetzungen?

Zunächst einmal natürlich der Wunsch nach mokṣa, mumukṣutvam. Da mokṣa jedoch von vielen unterschiedlichen Richtungen unterschiedlich definiert wird, braucht der Vedānta-Interessent gleich zu Anfang die Bereitschaft, anzuerkennen, dass mokṣa im Advaita Vedānta nicht nur „Wunsch nach Befreiung“ bedeutet, sondern vor allem „Wunsch nach dem klaren Verständnis dessen, dass ich bereits frei bin“.

Grundlegend und einzigartig im Advaita Vedānta ist „adhyāsa“ (in Kombination mit satya/mithya), was soviel heißt wie Verwechslung, Projektion, Trugschluss, Irrtum. Das bedeutet, du bist schon das, was du suchst. Du musst und wirst es nirgend woanders finden und musst und kannst es auch nicht herstellen. Dir fehlt allein das klare Wissen darum, dass du es schon bist. Und dieses Wissen wiederum fehlt dir, weil du dich für etwas anderes hältst, dich mit etwas verwechselst, was du eben nicht bist – also aufgrund von adhyāsa.

Aus dem Wunsch nach dem klaren Verständnis dessen, dass ich bereits frei bin, ergibt sich dann der Weg, den ich einschlagen muss. Ich brauche keine neue Identität, sondern einzig und allein dieses andere Verständnis; und das erhalte ich, wenn ich die Verwechslung verstehe und den Irrtum durch Fakten ersetze. Was hilft mir dabei? Wie gesagt: die guru śāstra upadeśa des Advaita Vedānta.

Erste Voraussetzung ist also jijñāsā – der Wunsch nach Verstehen, nach Erkennen.

Dazu kommt notwendig, dass dieser Wunsch stark sein muss. Er muss höchste oder nahezu höchste Priorität haben. Nur dann wird der Schüler sich auch wirklich dafür einsetzen. Man nennt dies tīvra mumukṣutvam oder eben tīvra jijñāsā.

Zweite Voraussetzung ist Demut, amānitvam. Die braucht man gegenüber der Vedānta śruti und gegenüber dem Guru, der sie einem vermittelt. Wer im Innersten davon überzeugt ist, dass er/sie es eigentlich besser weiß, während er dem Teaching folgt, der wird über kurz oder lang scheitern. Diese Haltung ist in der westlichen Welt sehr verbreitet, was viele Gründe hat, auf die ich hier nicht eingehe. Man kann sie selten im Schnellverfahren außer Kraft setzen. Was jedoch nötig ist, ist das Eingeständnis, dass man sie hat. Nur dann kann man sie immer wieder hinterfragen und sich immer wieder für das Teaching entscheiden, statt für den eigenen Hochmut.

Verbunden mit der Demut ist Vertrauen, śraddhā, und Hingabe, bhakti – wobei Vertrauen der Demut zugrunde liegt, während Hingabe ihr folgt. Sowohl zu Vertrauen als auch zur Hingabe gibt es viele Essays, deshalb gehe ich nicht weiter darauf ein. 1

Dritte Voraussetzung ist Frustrationstoleranz/Resilienz, titikṣā oder kṣamā, denn nur mit dieser Haltung wird der Mind einigermaßen ruhig und abgeklärt sein. So einen Mind braucht man, um dem Teaching folgen zu können. Ein Mind, der ständig in Aufruhr gerät, ist zu wenig aufnahmefähig.

Wenn ein solchermaßen vorbereiteter Adhikāri sich dem Advaita Vedānta Teaching anvertraut, wird er/sie die Erkenntnis, mokṣa, erlangen.

 

Nach mokṣa

Die erste Voraussetzung, tīvra jijñāsā, hat sich nach mokṣa natürlich erledigt. Oder vielmehr, sie hat sich erfüllt: Mit mokṣa ist das Wissen kein Ziel mehr, es ist unumstößliche Tatsache.

Die zweite Voraussetzung bestehend aus der Dreiheit Demut, amānitvam, Vertrauen, śraddhā, und Hingabe, bhakti – all dies bleibt bis zuletzt höchst relevant. Denn wer die eigene Idee eines separaten Ichs vollends aufgeben und sich rückhaltlos ins große Ganze hineingeben will, braucht alles drei: Vertrauen, Demut, Hingabe. Ohne diese drei wird ein jñānī nicht zum jīvanmukta – der zuzüglich zur höchsten Erkenntnis auch noch die höchste Erfüllung hat, die die Selbsterkenntnis eigentlich bringen kann.

Und auch die dritte Voraussetzung, ein friedvoller Mind bleibt nützlich, denn das eigene prārabdha wird auch dem jñānī sowohl angenehme wie unangenehme Situationen bescheren. Da hilft es, wenn einem titikṣā bereits zur Gewohnheit geworden ist.

All diese Gesichtspunkte hat der guru von Anfang im Blick und der śiṣya natürlich nicht.

 

Fußnote:

  1. siehe Essays:

    05-11 Hingabe

    06-12 Schritt für Schritt

    11-12 Lehrer

    08-12 Gott?

    12-13 Dankbarkeit

    02-13 Spiel des Lebens

    09-14 Loslassen

    12-14 Vertrauen

    02-15 Das größere Ganze

    06-15 Das Ich aufs Spiel setzen

    07-15 Christentum-Advaita Vedanta

    12-15 Der dreifache Segen

    09-18 Hingabe und Logik

    06-19 Mut zur Demut

    03-20 Danke